All-IP-Special

"Die Probleme stecken oft im Detail"

Uhr | Updated
von George Sarpong

Welche Möglichkeiten bietet die Umstellung auf All-IP? Welche Herausforderungen stellen sich Unternehmen dabei? Thomas Meier, Leiter Service Center bei SRG SSR, liefert Antworten.

Thomas Meier, Leiter Service Center bei SRG SSR. (Quelle: SRG SSR)
Thomas Meier, Leiter Service Center bei SRG SSR. (Quelle: SRG SSR)

Bitte beschreiben Sie kurz Ihr Projekt.

Thomas Meier: Weltweit haben die Telekomprovider angekündigt, ISDN als Service abzuschalten. In der Schweiz tut Swisscom dies 2017. Das zwingt die Broadcaster dazu, neue Technologien einzuführen. Audio over IP (AoIP) ist gesetzt. Es gibt keine Alternativen. Basierend auf dem Sip-Standard, der ebenfalls von den Telekomprovidern genutzt wird, baut die SRG SSR einen nationalen neuen AoIP-Service auf. Dieser ermöglicht die Zuführung von Live-Kommentaren oder allgemeinen Kommunikationsverbindungen in bester Broadcast-Qualität.

Welche Möglichkeiten erhoffen Sie sich vom Wechsel auf All-IP?

Seit einiger Zeit lässt die Servicequalität von ISDN zu wünschen übrig. Das hängt mutmasslich mit der veralteten Technik und, mangels eines grossen Deckungsbeitrags, mit dem geringen Interesse der Provider zusammen. Mit AoIP wird demnach eine verbesserte Servicequalität und eine verbesserte Audioqualität erreicht. Die Zeiten, in denen Skirennen in Übersee in Telefonqualität (3.4 kHz) kommentiert wurden, sollten damit endgültig vorbei sein.

Welche Probleme mussten oder müssen Sie noch lösen?

Der Markt bietet zwar den Standard und die dazugehörenden Protokolle (Sip, RTP). Der Markt würde auch genügend Sip-Provider bieten. Leider fokussieren sich diese auf die reine IP-Telefonie. Die Tonqualität reiner Telefonverbindungen ist für Live-Übertragungen zu schlecht. Mangels Sip-Provider für Broadcast ist auch die SRG SSR gezwungen, das entsprechende Know-how und den Service aufzubauen – also faktisch ein Service-Insourcing zu machen.

Die Hürden, die dazu zu nehmen waren – und immer noch zu nehmen sind –, sind vielfältig:

  • Das Know-how über Sip fehlte anfangs gänzlich. Es mussten Partner gesucht werden, die konzeptionell mithelfen konnten, einen professionellen und broadcast-tauglichen Service aufzubauen. Die Skills der Betriebsmitarbeiter, Techniker und Journalisten mussten stufengerecht angepasst werden. Das braucht Zeit und kostet Geld.
  • Das interne Netz (LAN) ist für den Transport von AoIP zu konzipieren und, wo notwendig, zu dimensionieren. Das Netzwerk der SRG SSR hat keinen QoS für AoIP definiert. Aufgrund der sehr hohen verfügbaren Bandbreiten und der hochperformanten Netzwerkgeräte ist es trotzdem absolut broadcast-tauglich. Alle Unternehmenseinheiten der SRG SSR sind über das WAN miteinander verbunden. Das Netz wird zentral betrieben. Somit können die benötigten Protokolle an jedem Standort über einen freigeschalteten Switch-Port zur Verfügung gestellt werden.
  • AoIP wird oft über das Internet zugeführt. Das stellt ein Sicherheitsrisiko dar. Entsprechend müssen umfangreiche Konzept­arbeiten für eine praktikable IT-Security-Lösung gemacht werden. Es braucht eine Balance zwischen IT-Security und Usability von AoIP.
  • Ausfälle infolge überlasteter Netzabschnitte sind jederzeit ­möglich. Das fordert das Betriebskonzept: Journalisten und ­Kommentatoren müssen über geeignete Back-up-Konzepte und Geräte verfügen. Diese sind technologisch vom Internet zu ­trennen.
  • Der Markt bietet wenig wirklich ausgereifte Sip-fähige Geräte (Codecs). Trotz gut definierter Standards sind Kompatibilitäts­probleme zu Sip und zu den Codecs an der Tagesordnung. Dies führt zu einem unschönen Dé­jà-vu. Schon mit der Einführung von ISDN hatten die Broadcaster mit denselben Problemen zu kämpfen. Die Anbieter von Codes sind vor allem auf der Audio-Seite stark. Bei einigen ist das IT-Know-how schlicht und einfach ­mangelhaft.
  • Wahrscheinlich ist das Verkaufsvolumen noch zu klein. Was beschafft werden konnte, wurde oft zusammen mit den Lieferanten funktional optimiert.

Was raten Sie anderen Unternehmen, die noch vor der ­Umstellung stehen?

Auch wenn in ihrem Umfeld ISDN möglicherweise noch länger in Betrieb ist, lohnt es sich, frühzeitig auf AoIP umzustellen. Ob das Sip ist oder nicht, möchte ich offen lassen, obwohl es betrieblich eigentlich die einzig richtige Alternative zu einer vermittelten ISDN-Verbindung ist. Die Probleme stecken oft im Detail und vor allem im eigenen Haus. Produktionsnetze sind oft sicherheitstechnisch vom Büronetz abgeschottet. Möglicherweise erzeugt das Routing von Sip und RTP konzeptionell und technisch viel Aufwand. Das braucht Zeit und kostet eventuell auch einiges an Geld. Wer sich also nicht auf dem linken Fuss überraschen lassen will, der steigt frühzeitig ein. Sich auf ganz wenige Codec-Typen und Hersteller zu beschränken, ist wichtig. Standardisieren Sie! Schon mit wenigen Geräten werden sie einiges zu tun haben. Gut bedient ist man, wenn nicht auf das neueste Gerät gesetzt wird. Early Follower, statt Early Adaptor ist immer eine gute Strategie. Vergessen Sie den Aufwand für das Change-Management nicht! Sie führen nicht einfach ein neues Gerät ein. Die Technologie ist neu. Die Fehlerbilder, die sich manifestieren, sind ganz anders – in Teilen der Anwendung zumindest.

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