Bausteine für Leadership im Zeitalter von New Work
SwissICT hat am 21. März erneut zur Arbeitswelten-Konferenz nach Zürich geladen. Im Fokus standen diesmal die Themen Emotion, Selbstorganisation und Leadership im modernen Arbeitsumfeld.
Wie gelingt Leadership in Zeiten von New Work? Dieser Frage sollten sich die Vortragenden an der diesjährigen Arbeitswelten-Konferenz von SwissICT widmen. Die Veranstaltung ging am 21. März in der Gleisarena der Fernfachhochschule Schweiz am Zürcher Hauptbahnhof über die Bühne.
Zurück in der Romantik
Jochen Menges, Director des Center for Leadership in the Future of Work an der Universität Zürich, war der erste Redner des Tages. Er befasste sich mit dem Thema Emotion im Kontext von Leadership. Menschen hätten eine entscheidende Sache, die sie von Maschinen abgrenzt, startete Menges in den Vortrag - die Emotion.
Die deutsche Sprache verfüge über rund 300 verschiedene Emotionsbegriffe, erklärte Menges dann - und dennoch falle es uns oft so schwer, unsere Emotionen zu beschreiben. Die meisten dieser Begriffe seien in der Romantik entstanden, einer Epoche, die als Gegenbewegung zur Industrialisierung die schönsten Gebäude, Opern und dergleichen hervorgebracht habe. Gewissermassen würden wir uns heute wieder in der Romantik befinden, sagte Menges. Wir würden wieder langsam wegkommen vom reinen Effizienzgedanken und zu einem menschenorientierten Weltbild zurückfinden. Dazu müssten wir nun auch die Emotion wiederentdecken.
"Frühere Generationen haben gedacht: Wir müssen jetzt hart arbeiten, um später glücklich zu sein", sagte der Experte. "Die Forschung sagt: Wir müssen zuerst glücklich sein, um hart arbeiten zu können." Gemäss einer Studie beeinflusse die Emotion am Arbeitsplatz für 70 Prozent der Befragten zuallererst Produktivität und Performance. Erst dann kämen Effekte wie Gesundheit und Wohlbefinden, Kreativität oder auch weniger Abwesenheiten im Job zum Tragen.
Jochen Menges, Director des Center for Leadership in the Future of Work an der Universität Zürich. (Source: Jennifer Loosli)
Unternehmen könnten ihren Angestellten aber auch nicht vorschreiben, wie sie sich fühlen sollen, betonte Menges. Firmen würden Milliarden in den "Wellness-Markt" investieren, etwa in Initiativen für mehr Engagement, Purpose und Happiness. Eine internationale Studie aus dem Vereinigten Königreich habe jedoch ergeben, dass der Effekt solcher Initiativen eigentlich "Null" wäre, sagte Menges. "Wir müssen also irgendwas anders machen."
Seine eigene Forschung habe gezeigt: Je höher das Engagement des oder der Mitarbeitenden, desto niedriger die Erschöpfung, und umgekehrt. Es gebe aber auch eine dritte Gruppe, sagte Menges: Jene, die sehr engagiert, aber auch sehr erschöpft sind. Dies sei etwa oft bei Beratungsfirmen der Fall, die das Engagement besonders fördern. "Wenn ich in Engagement investiere, muss ich auch schauen, dass die Mitarbeiter nicht ausbrennen und den Job wechseln." Daher müssten Firmen parallel in Erschöpfungsprävention investieren.
Ein hoher Purpose erhöhe wiederum das Stresslevel, da nun alles besonders wichtig sei. Und Mitarbeitende in Firmen, die Happiness fördern wollen, würden oft Zwang verspüren, was sie wiederum unglücklich mache.
Wertschätzung ist die Nummer 1
"Wie wollen Sie sich bei der Arbeit fühlen?", fragte Menges in die Runde. Die Standardantworten auf diese Frage seien: "Gut, positiv, happy." Doch was bedeutet das genau? Menges zitierte eine Befragung unter 18'600 Berufstätigen aus 35 Ländern. Die Top 3 Antworten daraus: wertgeschätzt, respektiert, erfolgreich. Auf dem letzten Platz: "excited". In der Schweiz stünden die Begriffe respektiert, zufrieden und ruhig zuoberst.
Die tatsächliche Emotion bei der Arbeit entspreche nun eben oft nicht der gewünschten Emotion, führte Menges aus. Er sprach vom sogenannten "Emotional Fit": also davon, wie sehr die gewünschte und die tatsächliche Emotion am Arbeitsplatz übereinstimmen. Laut dem Forscher besteht ein positiver Zusammenhang zwischen dem Emotional Fit einer Person an ihrem Arbeitsplatz und ihrem Wohlbefinden. Ein schlechter Emotional Fit korreliere hingegen mit geringem Wohlbefinden, höherem Alkoholkonsum und sogar einer höheren Selbstmordrate.
Die Schweiz befinde sich in puncto "Emotional Fit" im internationalen Mittelfeld - "Wir können also noch mehr dafür tun", sagte Menges. Er appellierte für einen Wandel von einem präskriptiven Führungsansatz zu einem adaptiven, von autoritär geprägten zu emotional intelligenten Organisationen.
Emotional intelligente Unternehmen seien dezentral und würden viel Autonomie bieten, sagte Menges. Sie würden Raum für emotionale Diversität schaffen, anstatt die Emotion "top down" vorzuschreiben. Sie messen und reden über Emotion, wie der Experte erklärte. Führungskräfte würden für emotional intelligentes Verhalten belohnt, nicht bestraft, und emotionale Intelligenz sei im HR-Prozess verankert.
Die emotionale Intelligenz werde in Zukunft vermutlich noch wichtiger werden, sagte Menges schliesslich. Je stärker KI und Automatisierung Routinearbeiten übernehmen, umso eher werde sie zum "must have". Und umso mehr Aufgaben blieben übrig, die wir mit Herzen machen müssen.
Selbstorganisiert, aber nicht ohne Führung
Auch der nächste Vortragende, Ivo Bättig von Unic, war sich sicher: "KI wird einen Riesen-Einfluss auf die Organisationsstruktur haben." Es sei ja schon schwierig, mit Menschen zusammenzuarbeiten - "wie schwer wird es dann mit Maschinen?", eröffnete Bättig schmunzelnd. Unic schafft laut dem Redner komplett selbstorganisiert und begleitet andere Firmen auf dem Weg, das auch zu tun. Was das bedeutet, und vor allem, was nicht, sollte Inhalt seines Vortrags sein.
Zunächst nannte er zwei Gründe, die Unternehmensstruktur überhaupt zu überdenken. Der erste: Anpassungsfähigkeit. "Wenn deine Organisation mit modernen Ansätzen schafft, kann alles auf dich zukommen", sagte Bättig. Mit einem dezentralen Ansatz könne ein Unternehmen besser mit massiven Veränderungen umgehen, seien es strategische Anpassungen, die KI, Anforderungen an die Nachhaltigkeit und mehr. Die Umstände würden sich so schnell ändern, weshalb eben eine grosse Anpassungsfähigkeit gefordert sei. Bättig zitierte Charles Darwin, den Urvater der Evolutionstheorie: "Survival of the fittest!"
Der zweite Grund liegt laut Bättig in der Zufriedenheit der Mitarbeitenden, wie sie bereits Menges angesprochen hatte. Er berief sich auf den Gallup-Report aus Deutschland, demzufolge 87 Prozent der Befragten keine emotionale Bindung zu ihrem Unternehmen empfinden. "Grund genug, in unserer Arbeitswelt etwas zu verändern", schlussfolgerte Bättig.
Ivo Bättig, Partner bei Unic. (Source: Jennifer Loosli)
Im Anschluss wollte er mit einigen Mythen rund um das Thema Selbstorganisation aufräumen. Etwa damit, dass das Modell nur ein Hype sei. Für Bättig sei es jedoch kein Hype, sondern "die Voraussetzung für Anpassungsfähigkeit", erklärte er. Gefragt, wie ihr Unternehmen denn aussehe, würden viele Führungskräfte auf ein Organigramm verweisen - "Kästli, die am besten noch übereinander stehen müssen". Die Realität sehe jedoch meist anders aus. So nehme das Organigramm etwa keine Rücksicht auf zwischenmenschliche Beziehungen.
Der zweite Mythos: "Alle machen, was sie wollen." Selbstorganisation bedeute nicht, dass es keine Vorgaben gibt, betonte Bättig. Die Verantwortlichkeiten müssten laufend geklärt werden und es sollte Klarheit darüber herrschen, welche Arbeit gemacht werden muss. Mythos Nummer drei: Selbstorganisation schaffe die Chefinnen und Chefs ab. Axa Schweiz strich etwa kürzlich die Jobtitel aus seinem Organigramm. Auch Selbstorganisation brauche Struktur und Orientierung, "aber anders", erklärte Bättig - und dafür nicht unbedingt Chefs. Es gibt jedoch Hoffnung für die Leader der Nation: Auch Selbstorganisation braucht Leadership, wie Bättig sagte, und damit mit dem vierten Mythos aufräumte.
Ein weiterer Mythos sei, dass Selbstorganisation ein ganz anderes Mindset erfordere. Viele Firmen würden daher versuchen, das Mindset ihrer Mitarbeitenden zu verändern. Dafür müsse man aber zunächst Rituale und Routinen verändern, so der Experte - erst das führe zu einer anderen Einstellung.
Der sechste und letzte Mythos: Menschen könnten sich gar nicht selbst organisieren. Auch das stimme nicht, sagte Bättig. Im Privatleben sehe man schliesslich selten Organigramme, und dennoch würden Menschen dort unglaublich gefährliche Dinge zustande bringen: Häuser bauen, heiraten oder Kinder bekommen.
Um die Selbstorganisation zu ermöglichen, müsse man das Umsystem ändern, nicht den Menschen, sagte Bättig schliesslich. Er verwies dafür auf die Macht der kleinen Schritte - und: "Einfach machen."
Vor der Mittagspause nutzte SwissICT die Bühne, um auf seine eigenen Aktivitäten im Bereich Leadership und New Work aufmerksam zu machen. Dazu zählen etwa Fachgruppen zum Thema Innovation und Leadership und Events wie der jährliche vergebene Digital Economy Award, wie Geschäftsführer Christian Hunziker und Cornelia Ammon vom Produktmanagement auflisteten. Ausserdem gibt der Verband regelmässig seine Salär- und Honorarstudien heraus. und bietet online eine Liste der Berufsbilder in der ICT-Branche an. Neu sind die "Berufe der ICT" auch auf Englisch verfügbar, wie Ammon sagte.
Die Gewinner des Digital Economy Award 2023 finden Sie übrigens hier.
Christian Hunziker und Cornelia Ammon, SwissICT. (Source: Jennifer Loosli)
Die Revolution kommt nicht von alleine
Letzte Rednerin des Tages war Fabiola Eyholzer von Just Leading Solutions. Seit Covid habe sich im Bereich Future of Work viel verändert, sagte Eyholzer. Die Pandemie sei aber eigentlich nicht der Grund für die gerade stattfindende Revolution, betonte sie. Sie zitierte aus einer Keynote des Futuristen Maurice Conti aus dem Jahr 2016: Die (Arbeits-)Welt werde in den nächsten 20 Jahren mehr Veränderung erfahren als in den vergangenen 2000 Jahren. Dieser Wandel werde aber nicht plötzlich voll und fertig da sein - wir würden ihn mitgestalten, sagte Eyholzer.
Anschliessend warf sie einen Blick zurück. Der Begriff "Human Ressources" sei erstmals im Jahr 1893 erwähnt worden. HR sei damit rund 130 Jahre alt. "Viel von unserem Mindset stammt ebenfalls aus dieser Zeit", kritisierte die Speakerin. Sie nahm das Publikum mit in die Zeit der ersten Dampfmaschinen im 18. Jahrhundert, über die Entwicklung von Elektrizität und Telefonie sowie die Digitalisierung zurück in die heutige Zeit, wo wir uns die Frage stellen, wir wir unsere Arbeitsweise mit Technologie verbessern können. Das Wirtschaftsmodell habe sich in diesem Zeitraum über "hired hands" - also körperliche Arbeit - zu "hired brains", intellektueller Arbeit, gewandelt. Nun könne man vielleicht von "hired hearts" sprechen, sagte Eyholzer.
Künstliche Intelligenz übernehme zunehmend Tätigkeiten, die bereits weit über reine Routinearbeiten hinausgingen, führte sie fort. Für den Menschen bleibe emotionale Arbeit, Kreativität und Imagination übrig. "Die Technologie vermenschlicht Arbeit, sie entmenschlicht sie nicht", sagte Eyholzer. Erstmals müssten wir uns nämlich überlegen, was der Wert der Arbeit sei, die Bedeutung und der Purpose. Je stärker die künstliche Intelligenz werde, desto mehr müssten wir unsere emotionale Intelligenz stärken, war sie sich mit dem ersten Speaker des Tages einig.
Fabiola Eyholzer Agile HR Thought Leader & Executive Advisor Just Leading Solutions. (Source: Jennifer Loosli)
Menschlichkeit im Sport und im Büro
Danach kam Eyholzer auf das Thema Kultur zu sprechen. Jedes Unternehmen habe eine Kultur, so die Expertin - die sei eben entweder gut oder schlecht. Der Begriff würde oft auf zwei Arten verstanden: im Kontext von gratis Pizza und Tischfussballtischen, oder aber als HR-Initiative mit schönen Plakaten und Slogans. "Wer nur dieses Verständnis von Unternehmenskultur hat, wird nicht erfolgreich sein", sagte Eyholzer. Die unzähligen Engagement-Initiativen seien, wie Jochen Menges bereits erzählt hatte, ja nicht unbedingt effektiv.
Eine gute Kultur erfordere Gespräche auf Augenhöhe, darüber, was die Leute beschäftigt und was sie motiviert - nicht nur darüber, wie gut sie arbeiten. Das sei heute oft nicht der Fall, sagte Eyholzer: Es gehe nur um Profit, Beschleunigung, bessere Nutzung der Technologie und darum, "die Zitrone noch weiter auszupressen". Das könne nicht lange so weiter gehen.
Ein erfolgreiches Team brauche mehr als nur Starspieler und MVPs, sagte Eyholzer schliesslich. Laut der Forschung weise ein Siegerteam kleine Vernetzungen zwischen allen Akteuren auf. Alle hätten eine Stimme, man halte Augenkontakt und kommuniziere direkt, nicht nur über den Chef. Konversationen fänden auch unter den Teammitgliedern statt, nicht nur in Meetings. Aus Führungssicht sollte im Recruiting neben der Erfüllung verschiedenster Kriterien und Skills. Die menschliche Komponente nicht missachtet werden. "Auch im Sport schaut man auf das Menschliche", sagte Eyholzer - also warum dann nicht auch am Arbeitsplatz?
Die Zusammenfassung der letzten Arbeitswelten-Konferenz von SwissICT finden Sie übrigens hier.