Update: Bundesgericht bremst Luzerns Pläne für automatische Fahrzeugfahndung
Mit einem neuen Gesetz will die Luzerner Regierung der Polizei ermöglichen, Systeme zur automatischen Fahrzeugfahndung oder zur Analyse von Delikten zu nutzen. Doch das Bundesgericht hebt mehrere Artikel dieses Gesetztes auf. Das Urteil könnte auch andere Kantone betreffen.
Update vom 11.11.2024: Der Kanton Luzern muss sein Polizeigesetz überarbeiten. Das Bundesgericht hebt gleich mehrere darin enthaltenen Regelungen auf - darunter auch Bestimmungen, die der Regierungsrat bei der Präsentation des Gesetzes hervorgehoben hatte.
So erklärt das Gericht etwa die Regelung zur automatischen Fahrzeugfahndung für ungültig. Der Kanton selber betone, dass er diese insbesondere zur Strafverfolgung einsetzen wollte, schreibt das Gericht. Allerdings habe der Kanton in diesem Bereich keine Gesetzgebungskompetenz. "Überwachungsmassnahmen zum Zweck der Strafverfolgung bedürfen vielmehr einer Grundlage in der eidgenössischen Strafprozessordnung", stellt das Gericht klar. Und mit Blick auf den verbleibenden Anwendungsbereich stelle "die sehr weitreichende Datenerfassung, -auswertung und -aufbewahrung einen unverhältnismässigen Grundrechtseingriff dar". Darum sei die Regel insgesamt aufzuheben, urteilt das Bundesgericht.
Auch die im Gesetz verankerte Regelung zum polizeilichen Datenabtausch stösst bei den Richtern auf Kritik. Mit dem Abrufverfahren sollten die Daten, die bei der in Planung befindlichen Polizeidatenplattform "Polap" gespeichert wären, unmittelbar zugänglich gemacht werden. Eines vorgängigen Amtshilfeersuchens bedürfe es nicht, was die Kontrolle und den Rechtsschutz erschwere, schreibt das Bundesgericht in seiner Mitteilung. Der Kanton Luzern begrenzt demnach im Polizeigesetz weder die Datenkategorien noch die Bearbeitungszwecke oder den Kreis der Zugriffsberechtigten. "Für einen derart weitgehenden Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung bildet die fragliche Regelung keine ausreichend bestimmte Gesetzesgrundlage respektive verstösst sie gegen das Prinzip der Verhältnismässigkeit", befindet das Gericht.
Auch keine ausreichend bestimmte gesetzliche Grundlage sieht das Gericht für den Einsatz komplexer algorithmischer Systeme im Bereich der seriellen Kriminalität. Dazu gehört namentlich die automatisierte Gesichtserkennung. Eine verfassungskonforme Anwendung des Artikels sei jedoch möglich beim Einsatz "einfacher" Analysesysteme. Bei diesen kommen menschliche Analystinnen und Analysten zum Einsatz und Daten werden manuell eingegeben, wie das Bundesgericht erklärt.
Nicht nur Luzern muss nachbessern
Das Urteil des Bundesgerichts dürfte nicht nur den Kanton Luzern beschäftigen, denn nicht nur der wollte per Gesetz die automatische Fahrzeugfahndung einführen. Tatsächlich stützte sich Luzern mit seiner Gesetzgebung auf eine Empfehlung der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD), wie der "Beobachter" schreibt. "Die automatische Fahrzeugfahndung muss man nach diesem Entscheid in jedem Kanton nochmals anschauen und prüfen, was in Übereinstimmung mit den Grundrechten möglich ist. Offensichtlich deutlich weniger, als bisher angenommen wurde", kommentiert Grünen-Politikerin Rahel Estermann im Artikel das Urteil. Estermann, Mitglied der Digitalen Gesellschaft und eine der Klägerinnen gegen das Luzerner Polizeigesetz, formuliert zwei Möglichkeiten, die der Gesetzgeber jetzt habe: "Entweder man verzichtet ganz auf die automatische Fahrzeugfahndung – oder man macht sie, ohne die Daten zu speichern".
Die Piratenpartei weist derweil auf das im August 2024 in Kraft getretene Berner Polizeigesetz hin. Auch dieses enthalte Passagen zum Einsatz von Kennzeichenscannern, ähnlich jener, die das Gericht im Fall des Kanton Luzerns jetzt für unzulässig erklärt hatte. "Auch die Kapo Bern kann seit Mitte Jahr millionenfach unsere Autofahrten speichern. Das Bundesgericht beurteilt dies in Luzern als unverhältnismässigen Grundrechtseingriff. In Bern ist das nicht anders, es muss sofort darauf verzichtet werden", fordert Tino Wymann, Vorstandsmitglied Piratenpartei Kanton Bern, in einer Mitteilung.
Übrigens ist es nicht das erste Urteil, welches das Bundesgericht in Sachen automatischer Fahrzeugfahndung fällte. Laut dem "Beobachter" erteilte es im November 2022 bereits dem Kanton Solothurn eine Absage.
Originalmeldung vom 4.5.2022:
Luzerner Polizei soll automatisch nach Fahrzeugen fahnden können
Die Luzerner Polizei soll neue Datenbearbeitungsinstrumente zur Verbrechensbekämpfung nutzen dürfen. Wie der Regierungsrat mitteilt, fehlt ihr dazu aktuell die gesetzliche Grundlage. Nun unterbreitet der Rat dem Kantonsparlament eine Botschaft zur Änderung des Polizeigesetzes.
Konkret soll die Luzerner Polizei künftig ein System zur automatischen Fahrzeugfahndung einsetzen dürfen, welches laut der Mitteilung mehrere Kantone und das Grenzwachtkorps schon nutzen. Dieses lese Kennschilder vorbeifahrender Fahrzeuge und gleiche die Daten der Halterinnen und Halter mit der Fahndungsdatenbank des Bundes (Ripol) ab.
Nur für die Fahndung gesuchter Personen
Das System soll ausschliesslich für die Fahndung nach gestohlenen Fahrzeugen oder gesuchten Personen eingesetzt werden, wie der Regierungsrat klarstellt. Es werden keine Übertretungen, auch nicht solche des Strassenverkehrsrechts, verfolgt. Die Daten aus der automatischen Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung dürfen während 100 Tagen ausschliesslich für die Verfolgung von schweren Verbrechen und Vergehen verwendet werden. Welche das konkret sind, ist in einem speziellen Deliktskatalog geregelt. Ausserdem soll es eine öffentliche Liste mit den Standorten der festen Kameras geben.
Erlaubt werden soll auch der Einsatz eines Informationssystems zur Analyse serieller Delikte. Damit lasse sich die Serienkriminalität wesentlich effizienter bekämpfen als mit der heutigen kriminaltechnischen Kleinarbeit, begründet der Regierungsrat die Änderung. Demnach erkenne das System Muster von begangenen Delikten und kann so feststellen, welche davon mutmasslich von der gleichen Täterschaft begangen wurden und wo in naher Zukunft weitere ähnliche Straftaten begangen werden könnten.
Schliesslich enthält das neue Polizeigesetz auch Bestimmungen zum Datenaustausch. Demnach soll sich die Luzerner Polizei an Datenbearbeitungssystemen des Bundes und der Kantone für die Ermittlung bei Straftaten sowie für die Darstellung von Lagebildern beteiligen können.
Einen Einblick in neue Technologien für Polizeieinsatzkräfte lieferte der Schweizer Polizei Informatik Kongress (SPIK), der vergangenen April in Bern stattfand. Diskutiert wurde dort auch, was mit den Daten vernetzter Fahrzeuge passiert. Mehr zum SPIK 2022 lesen Sie hier.
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