Christian Keller: Es fehlt vor allem an Datenanalysten und an IT-Architekten
Christian Keller ist seit einem Jahr General Manager von IBM Schweiz. Er übernahm die Funktion von Isabelle Welton, die eine Europafunktion bei IBM übernahm, mittlerweile aber nicht mehr für das Unternehmen arbeitet. Was IBM in der Schweiz vorhat, erklärt Keller im Gespräch.
Wie ist es Ihnen seit Ihrem Amtsantritt als General Manager von IBM Schweiz ergangen?
Christian Keller: Es ist nun schon fast ein Jahr her, seit ich die Funktion des General Manager Schweiz übernommen habe. Die Aufgabe gefällt mir sehr gut und ich bin gut gestartet. Eine Ländergesellschaft bei IBM zu leiten, ist einer der interessantesten Jobs überhaupt. Vor allem in der Schweiz. Denn hier hat IBM eine sehr lange Tradition. IBM ist seit 1927 mit einer eigenen Niederlassung vertreten und unterhält seit 1956 auch eine Forschungseinrichtung in Rüschlikon.
Was war Ihre wichtigste Aufgabe, nachdem Sie die Verantwortung für die Schweiz übernommen hatten?
Ich habe mir für die neue Funktion natürlich Ziele gesetzt. Ich will, dass IBM erste Adresse für die Kunden wird. Zudem soll das Unternehmen für bestehende Mitarbeiter ein Top-Arbeitgeber sein und für potenzielle Talente attraktiv. IBM soll als Unternehmen seine gesellschaftliche und soziale Verantwortung wahrnehmen. Ich will integrativ führen und die Synergien zwischen den verschiedenen internen Bereichen nutzen, um das Maximum oder 'The Best of IBM' für unsere Kunden bereitzustellen.
Wie sind Sie mit dem Geschäftsgang von IBM in der Schweiz zufrieden?
Die Schweizer Ländergesellschaft hat sich sehr gut entwickelt. Die Schweiz ist aber nach wie vor ein sehr kompetitiver Markt. Einerseits haben wir den starken Schweizer Franken, andererseits stellt die durch die Schuldenkrise verstärkte Unsicherheit im Markt auch unsere Kunden vor grosse Herausforderungen. Der Kostendruck in den Unternehmen ist weiter gestiegen und zwingt zur Verringerung der Fixkosten und zu kontinuierlicher Verschlankung der Strukturen und Prozesse. Für uns bei IBM ergeben sich daraus gute Chancen, unsere Kunden darin zu unterstützen, ihre IT und ihre Geschäftsprozesse zu optimieren. Dem erhöhten Kostendruck kann mit neuen Technologien begegnet werden.
Was werden 2013 die Highlights für IBM?
Ein Highlight wird die Inbetriebnahme unseres neuen Cloud-Rechenzentrums in Winterthur im dritten Quartal sein. Wir hatten das ja auch an unserer Jahresmedienkonferenz im Februar angekündigt. Das Cloud-RZ wird natürlich allen Sicherheitsanforderungen genügen. Und wir können damit die Datenhaltung in der Schweiz garantieren. Früher war die Schweiz ein sicherer Hafen für Geld, heute sehe ich für unser Land eine grosse Zukunft als sicherer Datenhafen. Die Sensibilität bezüglich Sicherheit ist gerade in der Schweiz hoch. Wir sehen Cloud Computing als grosse Chance für den Schweizer IT-Markt. Denn das stärkste Wachstum im Schweizer IT-Sektor wird in den Bereichen Private und Hybrid Cloud stattfinden. Davon sind wir überzeugt. Als weiteres Highlight sehe ich unsere Partnerschaft im Human-Brain-Projekt, in dem wir unser IT-Know-how und unsere Forschungspower einsetzen dürfen. IBM Research ist massgeblich am Projekt beteiligt: beim Design der nötigen IT-Supercomputer-Infrastruktur und im Bereich der biomolekularen Simulationen. 2005 wurde das Vorläuferprojekt Blue Brain lanciert, bei dem der IBM-Supercomputer Blue Gene für Simulationen eingesetzt wurde. Und was uns auch besonders gefreut hat, ist, dass wir den Tell-Award für das Binnig und Rohrer Nanotechnology Center erhalten haben. Diese Auszeichnung würdigt die Innovationsleistung nordamerikanischer Unternehmen und die Grösse der Reinvestition in der Schweiz.
Was macht Ihnen Sorgen?
Der Fachkräftemangel.
Das klingt nach Standardantwort …
Ist es nicht. Qualifizierte Arbeitskräfte zu finden, ist wirklich ein grosses Problem. Es fehlt für den Bereich Big Data beziehungsweise Predictive Analytics vor allem an Datenanalysten. Zudem ist es schwierig, IT-Architekten zu finden, die in der Lage sind, anspruchsvolle Cloud-Architekturen zu designen.
Was tut IBM gegen den Fachkräftemangel?
Wir arbeiten auf verschiedenen Ebenen. Einerseits unterstützen wir im Sinne von Sponsoring Lehrgänge, die wir gemeinsam mit Fachhochschulen anbieten. Wir kooperieren auch etwa mit der ETH, um Informatik, um die Lehre attraktiver für die jungen Leute zu machen. Aber das sind vor allem mittel- bis langfristige Massnahmen. Es dauert seine Zeit, bis aus dem Student ein Profi geworden ist. Bis dahin sind wir darauf angewiesen, dass wir auf möglichst einfache Art und Weise im Ausland, und ich meine nicht nur in der EU, sondern etwa in Asien Informatikspezialisten rekrutieren können. Die heute in der Schweiz existierenden bürokratischen Hürden erleichtern uns das nicht. Durch das Fehlen von IT-Fachkräften wird es auch immer schwieriger, die Forschungstätigkeit hierzulande auf einem hohen Niveau aufrechtzuerhalten.
Wie wichtig ist Rüschlikon als Forschungsstandort für IBM?
Ich würde die Frage gerne umformulieren: "Wie wichtig ist das Lab in Rüschlikon für die Welt?" Das Lab ist momentan weltbekannt für seine Nanotechnologieforschung, zwei seiner Forscher haben erst kürzlich den renommierten Feynman Preis erhalten. Ausserdem hat das Labor letztes Jahr einen 35 Millionen Euro schweren Vertrag mit der niederländischen Regierung für die Entwicklung einer IT Roadmap für das 1,5B Square Kilometer Array-Radioteleskop geschlossen. Dieses soll grundlegende Fragen nach dem Ursprung des Universums und letztendlich auch die Frage "Warum sind wir hier?" beantworten. Ausserdem arbeiten die Wissenschaftler sehr eng mit den Kollegen in den USA an einer Litium-Luft-Battery für Autos, die eine Reichweite von 800 km mit einer Ladung hat. Für IBM ist Rüschlikon der grösste europäische Zweig in IBM Research. Im Labor arbeiten Computeringenieure und Elektrotechniker, Mathematiker, Physiker und Chemiker aus 45 verschiedenen Ländern. Sie forschen in enger Verbindung mit den 12 anderen Laboren, die IBM weltweit unterhält. Insgesamt arbeiten rund 3000 Wissenschaftler auf sechs Kontinenten für IBM Research. 2012 betrug das Budget 6 Milliarden US Dollar.
Für welche Probleme erforscht IBM Lösungen in Rüschlikon?
Einerseits wird im Labor Grundlagenforschung betrieben. So konnten vor ein paar Monaten eine Gruppe von Wissenschaftlern erstmals die Bindungsordnung und Länge einzelner Bindungen in Molekülen direkt abbilden. Zudem forscht man an vielen interdisziplinären Projekten aus verschiedenen Forschungsbereichen, etwa Chip-Technologien, Nanotechnologie, Supercomputing, Sicherheit und Datenschutz, Risikomanagement und Compliance sowie Optimierung und Transformation von Arbeitsabläufen. Hier in der Schweiz arbeiten die Wissenschaftler momentan zusammen mit Migros daran, die Kühlhäuser des Migros-Verteilbetriebs Neuendorf so flexibel zu steuern, dass diese zur Stabilisierung des Schweizer Stromnetzes beitragen können. Ein anderes Team arbeitet an Solarkonzentratoren, welche die Sonne auf wesentlich kleinere photovoltaische Chips konzentrieren können. Damit wird einerseits Kosten und Material gespart, da nur kleinere Chips gebraucht werden als herkömmliche Solarpanels.
Wie wichtig ist das Partnergeschäft für IBM Schweiz?
Wir könnten als IBM ohne den Channel nicht mehr exisitieren. Früher wurde der Channel vor allem als Fulfilment-Partner gesehen. Ausliefern, installieren, warten. Das gibt es zwar immer noch, aber wir nutzen den Channel in einer ganz anderen Art. Wir wollen durch den Channel für unsere Kunden Zusatzwerte generieren und sind momentan dabei, den Channel im Softwarebereich aufzubauen beziehungswesie weiterzuentwickeln. Für uns ist ein lebendiges Partner-Ökosystem auch deshalb wichtig, weil dadurch unsere Channelpartner zu Managed-Service-Providern werden können und uns so, einmal abgesehen von der logistischen Unterstützung, helfen, unseren geografischen Fussabdruck zu vergrössern. Ohne den Channel könnten wir gar nicht schnell genug skalieren. Wir wollen auch noch mehr von unserem Midmarket-Geschäft an unsere Partner abgeben. Unsere Smarter-Planet-Initiative steht auch hier im Vordergrund: Mit den Themen Big Data/Analytics oder Mobile und Social Business möchten wir gemeinsam mit unseren Partnern eine stärkere Marktdurchdringung erreichen. Wichtig ist uns vor allem, dass unsere Partner ihre Kunden kompetent beraten. Sie sollten deswegen über starke Fach- und Branchenkenntnisse verfügen. Das verlangt eine gute Ausbildung der Teams, aber auch Investments in ihre Infrastruktur, etwa Technologie- und Hardware-Demo-Umgebungen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass sie sehr gut im KMU-Markt verankert sein müssen.
Wie ist das Verhältnis zwischen direktem und indirektem Business bei IBM, fifty-fifty?
Nein, wir machen mehr über den Channel als direkt und werden in Zukunft den Channel noch weiter stärken.
Warum sollten Reseller und Systemintegratoren mit IBM zusammenarbeiten?
Wir sind einerseits Technologieführer bei Innovationen, Trends und Forschung, andererseits bieten wir hervorragende Infrastrukturlösungen wie Virtualisierung und Konsolidierung. Zudem verfügt IBM über eine Softwarepalette im Middleware- und Datenbankbereich, die ihresgleichen sucht. Abgerundet wird dieses Portfolio von umfangreichen IT-Dienstleistungen, mit denen Partner ihre Portfolios intelligent erweitern können. Auch wenn es um die Verdienstmöglichkeiten für Partner geht, sind wir sehr attraktiv. Zahlreiche Promotionsprogramme, Kickback-Programme und Zusatz-Incentives für eigenes, autonomes Business ermöglichen es den Partnern, Investitionen zu decken und in Ressourcen und Ausbildung zu investieren. Wer mit uns zusammenarbeitet, arbeitet mit dem Leader.
Welche Prognosen geben Sie für das IT-Jahr 2013 ab? Trends, Chancen, Gefahren, Konjunktur?
Eine Kristallkugel habe ich nicht. Aber wir werden wohl weiterhin mit der Volatilität der Märkte leben müssen. In jeder konjunkturellen Phase gibt es allerdings auch Chancen und Möglichkeiten, um Erfolg zu haben und das Richtige zu tun. Es geht darum, diese zu nutzen und ihnen mit einer positiven Grundeinstellung zu begegnen und natürlich mit der richtigen Strategie und den richtigen Produkten. Dank der IBM-Strategie, sich auf Bereiche mit hoher Wertschöpfung zu konzentrieren, können wir optimistisch in die Zukunft sehen. Wir sind überzeugt, mit Themen wie Cloud Computing, Big Data, Social Business und Mobile sowie einem solidem Hardware-Produkt-Portfolio gut gerüstet zu sein. Einfach wird es zwar nicht, aber das war es ja noch nie. Herausfordernde Zeiten tragen aber immer dazu bei, dass man wettbewerbsfähig und fit bleibt.
Persönlich
Christian Keller ist seit 1995 bei der IBM tätig. Er ist Mitglied von IBM’s weltweitem Senior Leadership Team. Im Januar 2011 hatte er die Verantwortung für die IBM Länderregion Österreich und Schweiz übernommen. Im April 2012 übernahm er den Vorsitz der Geschäftsleitung der IBM Schweiz.
Davor leitete er das Systems & Technology Group Geschäft in Nordost Europa und EMEA (Europe, Middle East & Africa). Zwischen 2002 und 2004 war er als Director of IBM Systems and Technology Group Central and Eastern Europe, Middle East & Africa verantwortlich für den Geschäftsbereich der Server- und Speicherprodukte in dieser Region.
Zuvor hatte er verschiedene Marketing- und Verkaufsführungsfunktionen innerhalb der IBM Schweiz und Europa inne. Zwischen 1992 und 1995 war er als Projektleiter in einer Unternehmensberatung tätig. Christian Keller hat an der Universität St. Gallen (HSG) Betriebswirtschaft studiert und im Bereich Marketing & Finanzwesen promoviert. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter.
(Quelle: IBM Schweiz)