Heinrich Meyer: "Es wird zu viel geklagt in der Medienbranche"
Seit dem Jahr 2000 begleiten die Netzmedien die Schweizer ICT-Branche mit ihren Print- und Onlinemedien. Zum 20-jährigen Bestehen lanciert das Fachmedienunternehmen mit "Netzmedien Inbound" nun ein neues Content-Marketing-Angebot für Werbekunden. Mitgründer und CEO Heinrich Meyer blickt im Interview zurück und voraus.
Wie kam es 2000 zur Gründung der Netzmedien AG?
Heinrich Meyer: Mit Thomas Brenzikofer und Matthias Zehnder, den beiden anderen Mitgründern, hatten wir unsere Firma Ende der 1990er-Jahre rund um das Thema Internet als Content-Provider für Medienhäuser positioniert. Als Versuch lancierten wir dann im Dezember 1999 den Netzticker, den ersten Schweizer Mail-Newsletter zum Thema Internet und Vernetzung. Wir waren überzeugt, dass das Web die IT-Branche von Grund auf verändern würde. Als die Abonnentenzahlen des Netztickers explodierten, schlugen wir einem unserer Kunden vor, eine B2B-Fachpublikation für die IT-Branche zu lancieren. Wir hätten dafür gerne die Inhalte geliefert. Als der Kunde das Konzept nicht verstand, habe ich ein Wochenende lang mit spitzem Bleistift gerechnet, daraufhin meine Pensionskasse geleert und einen etwas unkonventionellen Vertrag mit einer Druckerei gemacht. So konnten wir selbst innerhalb weniger Wochen als Medienunternehmen mit Online- und Printprodukten starten und die Netzwoche lancieren.
Hätten Sie selbst damit gerechnet, dass es die Netzmedien und die Netzwoche auch nach 20 Jahren noch geben würde? Was haben Sie richtig gemacht?
Wer hat mit Mitte dreissig die nächsten 20 Jahre vor Augen? Vieles machten wir einfach aus dem Moment heraus; zum Glück ergibt das jetzt im Rückblick Sinn. Die 20 Jahre sind das Resultat von Leistungsbereitschaft, Gestaltungswillen und Beharrlichkeit und dem Umstand, dass wir abgesehen von den vielen Fehlentscheiden mehr Entscheide gefällt haben, die sich als richtig erwiesen haben. Am wichtigsten ist, dass wir im Laufe der Zeit immer wieder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefunden haben, die bereit waren, das Unternehmen mitzutragen.
Wie behauptet sich ein Fachmedienunternehmen im doch herausfordernden Medien-Markt im Jahr 2020?
Im Moment müssen sich ja alle Unternehmen in der Post-Corona-Wirtschaftskrise neu orientieren, wenn nicht sogar neu erfinden. Ganz grundsätzlich wollen wir einfach einen besseren Job machen als andere, und wir lassen uns an unserer Leistung messen. Was die Medienbranche angeht: Es wird für meinen Begriff zu viel geklagt. Welcher Markt, welche Branche ist nicht herausfordernd, wenn man seine Aufgabe ernst nimmt und ein Ziel verfolgt? Bis vor 20 Jahren lebten die Medien im goldenen Zeitalter und profitierten etwa im Rubrikenbereich kräftig von regionalen Monopolrenten.
Wie sind Sie darauf gekommen, Content-Marketing-Dienstleistungen anzubieten?
Unsere Kunden wollen das schon seit Jahren von uns haben, aber wir hatten uns immer geweigert. Wir dachten, das können wir nicht. Vor zwei Jahren haben wir dann die Arbeitsweise unserer Redaktionen analog der Prozesse aufgestellt, die sich im Content-Marketing etabliert haben. Wir hatten gemerkt, dass unsere bisherige Arbeitsweise nicht mehr zeitgemäss war. Jetzt, da wir für uns selbst nach journalistischen Gesichtspunkten und nach Content-Marketing-Prozessen arbeiten, ist es nur noch ein kleiner Schritt: Unsere Erfahrung und was wir für uns gelernt haben, stellen wir jetzt auch unseren Kunden zur Verfügung.
Wie sehen Sie die Zukunft des Unternehmens – wie wird sich das Geschäftsmodell der Netzmedien mittel- bis langfristig verändern?
Mit allem, was wir machen, erschliessen wir den Businessraum ICT und Consumer Electronics in der Schweiz, wir schaffen Orientierung. Wir können Koordinaten festlegen, zum Beispiel mit unserem "Best of Swiss Web"-Award, und zeigen, wer einen ausserordentlich guten Job macht. Und wir können Unternehmen, Organisationen und Personen in diesem Raum positionieren und damit Auftraggeber und Auftragnehmer zusammenbringen. Solange es diese Branche gibt, solange es Unternehmen und Organisationen gibt, die sich hier in der Schweiz mittels Digitalisierung für eine effiziente, ressourcenschonende und gewinnbringende Wirtschaft einsetzen, so lange möchten wir unseren Beitrag dazu leisten.
Was waren die einschneidendsten Momente in der 20-jährigen Geschichte des Unternehmens?
Zuerst war da der Drive, den man als Firmengründer hat; das gab unendlich viel Energie. Dann erlebten wir in der sogenannten Dotcom-Krise von 2002 bis 2004 die eiskalte Dusche mit einem Umsatzverlust von 50 Prozent. Nachher ging der Aufbau erst richtig los. Einschneidend war, wenn sich Mitgründer oder Partner vom Unternehmen getrennt haben; das war oft sehr emotional. Ein Höhepunkt war es immer, wenn sich ein gutes Team zusammenfand und in der täglichen Arbeit einfach alles von A bis Z stimmte. Persönlich bin ich im Rückblick froh, wie stark sich meine Rolle im Laufe der Zeit änderte und wie viel ich immer wieder lernen konnte – oder musste.
Wie hat sich Ihre Rolle konkret verändert? Was mussten Sie lernen?
Als Mitgründer hat man zu Beginn eine sehr enge Beziehung zur Firma, man ist unendlich belastbar und materiell genügsam. In der ersten Phase nützt das, später verhindert es Wachstum. Hier im richtigen Moment loszulassen, ohne die Zügel aus der Hand zu geben, war nicht einfach.
Wie meinen Sie das?
Die Einnahmen sprudelten, weil es keine Alternativen für die Werbekunden gab, zum Beispiel bei Stellen- oder Immobilieninseraten. Diese Zeiten sind vorbei, heute herrscht auch für Medien Normalbetrieb in einer Welt, die sich immer radikaler verändert, verstärkt durch den Digitalisierungsdruck, dem alle Branchen ausgesetzt sind. Leider ist es ein Hohn der Geschichte, dass es heute die grossen Internet-Plattformen sind, die übermässig profitieren. Wir buchen etwa unsere Ferien über toll gemachte Applikationen und nehmen es hin, dass wieder neue monopolartige Gebilde entstanden sind. Ich hoffe, dass auch hier der Markt in Zukunft wieder besser spielen wird.
Das klingt aber auch ein wenig nach klagen ...
Ich rufe ja nicht den Staat zu hilfe. Es ist für mich wichtig, über die eigene Firma hinauszuschauen, die grösseren Zusammenhänge zu verstehen und mir meine eigene Meinung zu bilden, auch wenn die nicht immer zum Mainstream passt.
Was zeichnet die Netzmedien aus?
Wir sehen uns als Dienstleister für die Schweizer ICT-Branche, die Arbeit für diese Branche empfinde ich persönlich als grosses Glück. Sie erfindet sich alle paar Jahre neu, weil sich die Technologien und damit das Business verändern. Und in dieser Branche arbeiten viele Leute, die an die Zukunft und an die Veränderbarkeit der Welt glauben. Das tut gut in einer Zeit, wo viele nur noch bewahren wollen, was sie schon haben, und zum Beispiel gegen 5G-Antennen Sturm laufen. Und dann ist alles eine Frage des Teams: Wenn die richtigen Leute mit uns arbeiten, geht es uns gut und wir haben Freude an der Arbeit. Als mitarbeitender Inhaber lebe ich das Leistungsprinzip und kann zudem einen langfristigen Ansatz mit hineinbringen, das ist heute von Vorteil. Mit der Dynamik in der Technologiebranche müssen auch wir als Fachmedienunternehmen und Kommunikationsdienstleister Schritt halten und uns immer wieder verändern. So lancieren wir mit "Netzmedien Inbound" dieses Jahr ergänzend zum angestammten Geschäft unser neues Content-Marketing-Angebot für Werbekunden.