Wie künstliche Intelligenz den Schweizer IT-Channel verändert
Wie setzen Distributoren künstliche Intelligenz ein, um die eigenen Prozesse zu optimieren? Kann KI die Widerstandsfähigkeit gegenüber wirtschaftlichen Krisen stärken? Um diese und weitere Fragen zu beantworten, luden die Netzmedien zum "Distributor-Roundtable".
Der Handel mit IT-Hard- und Software verändert sich laufend. Die weiter voranschreitende Globalisierung macht lokale Geschäfte immer weniger profitabel. Verfügbarkeit und Preise spielen eine zunehmend grössere Rolle. Zudem durchlebt der Markt nach den beispiellosen Wachstumsjahren während der Coronapandemie eine stagnierende bis rückläufige Phase, getrieben durch Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Krisen.
Sich als Distributor in diesem Markt zu behaupten, ist nicht einfach; es erfordert eine ständige Anpassung an sich verändernde Umstände. Zudem ist das Zeitalter der künstlichen Intelligenz angebrochen. Kein Service, kein Produkt scheint mehr ohne das KI-Label auszukommen. Doch inwieweit ist KI bereits ein reiner Marketing-Hype geworden? Können Distributoren ihren Kunden durch KI-gestützte Produkte einen echten Mehrwert bieten? Und wie verändert künstliche Intelligenz die Distis selbst?
Um diese Fragen zu beantworten, lud die "IT-Markt"-Redaktion die Geschäftsleiter führender Schweizer Distributoren zum "Distributor-Roundtable" ein. An der Diskussion in den Räumlichkeiten der Netzmedien nahmen teil: Thomas Boll, CEO von Boll Engineering, Driton Deda, Chief Customer Officer von Also, Andrej Golob, CEO von Alltron, Stefan Hoffmann, Business Development Manager bei Zibris, Gabriele Meinhard, VP Managing Director Switzerland von TD Synnex, und Roland Silvestri, CEO von Secomp.
Thomas Boll, CEO von Boll Engineering. (Source: Netzmedien)
Nicht nur Marketing-Hype
Rund um KI gebe es sicherlich einen Hype, darüber waren sich die Teilnehmer des Roundtables einig. "Aber auch das Internet war einst ein Hype, ebenso das Smartphone", gab Thomas Boll von Boll Engineering zu bedenken. "Ein Hype kann vieles verändern." Es brauche allerdings Zeit, bis der Hype auch die Endkunden erreiche und KI vollständig adaptiert werde. Dem pflichtete Andrej Golob von Alltron bei: "Gegenüber den Shareholdern und Investoren brauchen Hersteller eine KI-Story. Aber es wird länger dauern, bis diese Storys bei den Endkunden ankommen."
Viele KI-Features seien allerdings mehr als nur ein Hype und böten einen effektiven Mehrwert für die Nutzerinnen und Nutzer – auch im Alltagsgeschäft eines Distributors. Ein Beispiel sei etwa die Simultanübersetzung von Telefongesprächen. Im Kontakt mit Herstellern und Kunden im Ausland sei das eine enorme Hilfe und Erleichterung, führte Roland Silvestri von Secomp aus. "Zwar wird mit KI derzeit viel Marketing-Unfug betrieben, aber langfristig wird sie nicht mehr wegzudenken sein."
Driton Deda, Chief Customer Officer von Also Schweiz. (Source: Netzmedien)
IT-Teams als Vorreiter
Bei fast allen Distributoren kommt KI bereits für die interne Prozessoptimierung zum Einsatz. "Etwa im Bereich Business Intelligence oder bei spezifischen Abläufen, um effizienter und effektiver zu werden", sagte Gabriele Meinhard von TD Synnex Switzerland.
Bei Boll und Also sind es insbesondere die Softwareentwicklungs- und IT-Teams, welche die unternehmensinterne KI-Adaption vorantreiben. Bei Also verfolgt man dabei einen experimentellen Ansatz. "Wir haben Lizenzen in unseren Teams verteilt und gesagt: 'Testet das in euren Bereichen aus und berichtet von euren Erfahrungen'", erzählte Driton Deda von Also. Auf diese Art habe etwa ein Mitglied des Robotik-Prozess-Automation-Teams einen Chatbot auf Basis von Copilot entwickelt, der Liefertermine und Garantiekonditionen aus den unternehmenseigenen Dokumenten auslesen und aufarbeiten kann.
Am häufigsten genutzt wird KI allerdings zum Erstellen von Content. "Mehr als ein Fünftel unserer Produktseiten enthalten bereits KI-generierte Elemente", sagte Andrej Golob von Alltron. Auch zur Entlastung der Mitarbeitenden sollen KI-Tools beitragen. So will Infinigate mithilfe von KI-Tools seinen Partnern mehr Selbstbedienungsmöglichkeiten bieten. "Die erweiterte Self-Service-Funktionalität wird auch dazu beitragen, den Druck auf unsere Kundensupport-Teams zu verringern", sagte Michael Lüthold von Infinigate.
Alle Teilnehmer können sich vorstellen, künftig noch mehr KI zu nutzen, etwa bei der Lagerverwaltung oder bei administrativen Aufgaben.
Andrej Golob, CEO von Alltron. (Source: zVg)
KI als Jobkiller?
Führt das künftig zu einem Stellenabbau? Jein. Gabriele Meinhard vom "grossen" Unternehmen TD Synnex sieht Einsparpotenzial bei leicht zu automatisierenden Aufgaben, die heute teilweise bereits in die ausländischen Shared Service Center ausgelagert seien. Roland Silvestri vom "kleinen" Unternehmen Secomp hingegen sieht das KI-Potenzial eher bei der Entlastung von Angestellten in der Schweiz, die Aufgaben übernähmen, die andernorts bereits outgesourct worden seien.
So sieht es auch Thomas Boll: "Die Erfahrung hat gezeigt, dass die IT-Branche nicht gut darin ist, Jobs wegzurationalisieren. Wir machen einfach immer mehr. Die durch KI-Automatisierung frei gewordenen Ressourcen setzen wir dann anderswo wieder ein." Dem pflichtete auch Stefan Hoffmann bei: "Wir beobachten das auch bei unseren Kunden: Wenn sie unsere Cloud anstelle ihrer eigenen Infrastruktur nutzen, werden die dadurch frei gewordenen personellen Ressourcen nicht abgebaut, sondern wieder anders verteilt."
Stefan Hoffmann, Business Development Manager bei Zibris. (Source: zVg)
Bedenken beim Datenschutz
Trotz des Potenzials, das die Distributoren bei KI sehen, gibt es auch Bedenken. "Schon vor 30 Jahren konnte der Taschenrechner besser rechnen als der Mensch. Heute ist KI dem Menschen vielerorts überlegen. Allerdings wusste man beim Taschenrechner, dass das Ergebnis auch wirklich stimmt", meinte Thomas Boll. "KI-Halluzinationen" bereiten den Distis Sorgen, ebenso die Tatsache, dass gewisse Akteure bewusst Data Poisoning betreiben, um die Resultate von Chatbots zu verfälschen. «Wie jede neue Technologie hat auch die KI ihre Schattenseiten. Nehmen wir zum Beispiel die vielen gefälschten Videos, die im Internet kursieren. Die Technik ist inzwischen so ausgereift, dass es fast unmöglich ist – und in Zukunft noch schwieriger sein wird –, zu erkennen, ob ein Video echt oder gefälscht ist", sagte Stefan Hoffmann von Zibris. «Die Sicherheit steht dabei an erster Stelle, und es wird eine gemeinsame Anstrengung von privaten Unternehmen und Regierungen brauchen, um dieses Problem zu lösen."
IT-Unternehmen komme dabei eine besondere Rolle zu. In den vergangenen Jahrzehnten sei die Visibilität der Branche extrem gestiegen, entsprechend müsse man beweisen, dass man mit der Technologie umzugehen wisse, sagte Driton Deda von Also. "Die Technologie entwickelt sich exponentiell, die Gesellschaft nicht." Dem pflichtete auch Andrej Golob von Alltron bei. "Wenn sich die Gesellschaft langsamer entwickelt als die Technologie, dann hinkt die Politik noch mal fünf Jahre hinterher. Aber eigentlich brauchen wir Standards, die für die Schweiz, die EU, die ganze westliche Welt etwa gleich sind." Es sei also an der Industrie, zueinander zu finden.
Michael Lüthold, Managing Director von Infinigate Schweiz. (Source: zVg)
Spürbarer Druck des Marktes
Auf dem Markt habe die Industrie zusammengefunden, so die Meinung der Teilnehmer des Roundtables. Der Konkurrenzdruck sei spürbar. Dazu kommt der wirtschaftliche Druck durch Inflation, Zinserhöhungen und steigende Kosten für Vorfinanzierungen. Grundsätzlich laufe das Geschäft allerdings gut, meinte Thomas Boll, dessen Unternehmen auf Cybersecurity-Lösungen spezialisiert ist. "Der Markt ist da, die Leute wissen, dass sie auf ihre Sicherheit schauen müssen. Trotzdem ist der Marktdruck höher als in vergangenen Jahren." Ähnlich sieht es auch Michael Lüthold vom ebenfalls auf Cybersecurity spezialisierten Infinigate: "Es gibt bereits positive Anzeichen für einen Aufschwung am Markt. Cybersicherheit ist eine Priorität bei IT-Investitionen."
Neben dem aktuellen harschen Wirtschaftsklima spüre man auch immer noch die Auswirkungen der Coronapandemie, ergänzte Andrej Golob von Alltron. "Die Flaute am PC-Markt hat uns 2023 mehr zugesetzt als die Inflation."
Doch die Branche zeige sich sehr resilient, sagte Gabriele Meinhard von TD Synnex. "Jedes Jahr sagen wir, es wird schwieriger und dann schauen wir zurück und merken, es war besser als gedacht. Zudem hilft sicher ein ausgewogenes Portfolio, um Rückgänge in einem Bereich mit anderen Produkt- oder Servicekategorien auszugleichen."
Gerade im Vergleich zur Gesamtwirtschaft stehe der Schweizer IT-Markt sehr gut da, sagte auch Driton Deda von Also. "Im Austausch mit meinen Kollegen aus Deutschland und insbesondere Osteuropa zeigt sich die Stärke des Wirtschaftsstandorts Schweiz." Eine besondere Herausforderung seien aber die gesunkenen Kreditlimiten. "Wir verbringen inzwischen sehr viel mehr Zeit mit Kreditlinienprüfungen", sagte Deda. Man habe dabei schon so manches "blaues Wunder" bei der Prüfung der Kreditwürdigkeit der Kunden erlebt, positiv wie auch negativ.
Gabriele Meinhard, VP Managing Director Switzerland von TD Synnex. (Source: Netzmedien)
Herausforderung: Compliance und Ausland
Neben steuerrechtlichen Fragen werde auch die Compliance immer wichtiger, sagten die Distributoren. Verantwortungen würden entlang der Lieferkette geschoben, immer mehr ISO-Zertifizierungen und Standards müssten erfüllt werden und Vertragsverhandlungen würden komplizierter. "Mein Legal- und Compliance-Ordner ist diesbezüglich in letzter Zeit sicher nicht kleiner geworden", sagte Gabriele Meinhard von TD Synnex.
Ein weiteres Problem sei die Konkurrenz aus dem Ausland. "Es kommt aktuell sehr viel Ware aus dem Ausland in die Schweiz. Das wird langfristig ein Problem für uns alle sein", sagte Roland Silvestri von Secomp. "Für die Distribution am Marktplatz Schweiz wird das künftig die grösste Herausforderung sein. Da sind auch die Hersteller gefragt." Ein Problem sei etwa, dass die Hersteller selbst die Preise nicht gleichmässig abbildeten und Ware im Ausland günstiger zu bekommen sei. "Auf der einen Seite soll ja der Markt spielen", ergänzte Driton Deda von Also. "Aber es sollten für alle die gleichen Massstäbe gelten. Da ist auch die Politik gefordert, um Massnahmen zu treffen."
Roland Silvestri, CEO von Secomp. (Source: Netzmedien)
Lieferkette entspannt sich – teilweise
Die Supply Chain hat sich nach den pandemiebedingten Engpässen wieder entspannt. Das erleben die Distributoren allerdings unterschiedlich. Insbesondere seit Ausbruch des Israel-Hamas-Kriegs und der daraus resultierenden Krise im Nahen Osten habe die Planbarkeit stark abgenommen, sagten Andrej Golob von Alltron und Driton Deda von Also.
"Bei der Belieferung haben wir eigentlich keine Probleme mehr", antwortete hingegen Thomas Boll. Gabriele Meinhard von TD Synnex sagte dazu: "Es gibt noch punktuelle Probleme bei einzelnen Herstellern oder Komponenten, aber das Problem ist sicher nicht mehr flächendeckend." Bei Also beobachtet man ausserdem einen Anstieg im Mailverkehr bezüglich Anfragen und Abklärungen vonseiten der Reseller. Dies wohl als Folge der vielen Unsicherheiten in den Coronajahren.
Channel wird proaktiver
Generell habe sich die Zusammenarbeit mit Partnern durch die Pandemie verändert. "Wir nehmen in der Zusammenarbeit mit unseren Herstellern und Partnern eine aktivere Rolle ein. Dabei sind wir nah an unseren Kunden und übernehmen die Orchestrierung im Channel für unsere Partner und mit unseren Herstellern", sagte Stefan Hoffmann von Zibris.
So geht es auch Andrej Golob von Alltron. "Der Channel will mehr Services, weil die Partner selbst nicht die Ressourcen haben, diese zu bieten."
"Aufgrund der vielen Änderungen, welche die Hersteller derzeit an ihren Modellen und Services vornehmen, verlassen sich die Partner mehr auf uns", sagte Thomas Boll. Allgemein sei die Zusammenarbeit mit den Partnern viel konstruktiver geworden, sagten die Distributoren.
Die Teilnehmer
- Thomas Boll, CEO, Boll Engineering
- Driton Deda, Chief Customer Officer, Also
- Andrej Golob, CEO, Alltron
- Stefan Hoffmann, Business Development Manager, Zibris
- Gabriele Meinhard, VP Managing Director Switzerland, TD Synnex
- Roland Silvestri, CEO, Secomp
- Moderation: Coen Kaat, Netzmedien
Schriftlich geantwortet hat Michael Lüthold, Managing Director, Infinigate