Jahrestagung der Plattform Industrie 2025

Alle Firmen brauchen eine digitale Strategie

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Künstliche Intelligenz wird nicht zu Jobverlust führen. Die Digitalisierung baut Hierarchien ab. IT-Abteilungen bremsen die Innovation. Diese Thesen hat die Redaktion an der Jahrestagung der Plattform Industrie 2025 gehört. Ein Bericht aus dem FHNW-Campus in Brugg-Windisch.

Economiesuisse-Chefökonom Rudolf Minsch (links) und Tagungsleiter Guido Santner.
Economiesuisse-Chefökonom Rudolf Minsch (links) und Tagungsleiter Guido Santner.

Die Digitalisierung stellt Schweizer Unternehmen vor riesige Herausforderungen. Wer Erfolg haben will, muss Geschäftsmodelle überdenken, Prozesse umgestalten und seine Organisation umkrempeln.

Die Digitalisierung ist aber auch eine grosse Chance. Sie ermöglicht es, Kunden direkter anzusprechen, neue Zielgruppen zu erschliessen und die Produktivität massiv zu erhöhen.

Wer Veranstaltungen in der Schweiz zum Thema "Digitale Transformation" besucht, hört immer wieder das Gleiche. Das war auch an der Jahrestagung der Plattform Industrie 2025, die heute an der FHNW in Brugg-Windisch stattfand, nicht anders.

Der Event war trotzdem spannend. "Industrie 4.0 in die Praxis umgesetzt" hiess das Thema. Den Organisatoren gelang es, hochkarätige Referenten zu gewinnen. Sie zeigten auf, was die Digitalisierung für Schweizer Unternehmen wirklich bedeutet.

Das Publikum konnte mitreden

Guido Santner von Electrosuisse führte durch den Tag. Er wies gleich zu Beginn darauf hin, dass die Jahrestagung bereits zum vierten Mal stattfinde. 2014 seien noch 100 Personen gekommen, gestern waren es über 350.

Die Veranstalter warteten mit einer kleinen Innovation auf: Wer Fragen an die Referenten hatte, konnte diese über ein Onlinetool erfassen. Santner stellte die Fragen jeweils gleich nach den Präsentationen – das kam beim Publikum gut an. Schade, dass nicht mehr Veranstaltungen in der Schweiz solche interaktiven Elemente einsetzen.

Auch während der Podiumsdiskussion konnten sich die Anwesenden im Campussaal einbringen. Santner wollte wissen, was ihre grössten Herausforderungen bei der Umsetzung von Industrie-4.0-Projekten sind. Aus den Inputs kreierten die Veranstalter folgende Wortwolke:

Die grössten Herausforderungen sind also Standards, Datensicherheit, knappe Zeitpläne, organisatorische Trägheit und Mitarbeiter, die nicht umdenken können. Die Wortwolke war auch deswegen interessant, weil das Publikum wusste, wovon es sprach. Im Saal sassen Systemintegratoren, Hersteller von Industrie-4.0-Produkten und Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Forschung, Wissenschaft und von Verbänden.

Künstliche Intelligenz und die Angst um Jobverlust

Und die Referenten? Sie zeigten auf, dass diese Dinge für Schweizer Unternehmen tatsächlich grosse Herausforderungen sind. Zuerst gab es allerdings einen Vortrag von Rudolf Minsch. "Kommt es zu einem riesigen Jobverlust in der Schweiz?", fragte der stellvertretende Direktor und Chefökonom von Economiesuisse. "Nein."

Minsch nahm damit Bezug auf Automatisierungen und künstliche Intelligenz, die vielen Arbeitnehmern Angst machen. Er sieht die Sache weniger pessimistisch. "Seit der Dampfmaschine hat der technische Fortschritt mehr Jobs geschaffen als zerstört", sagte Minsch.

Dass der technische Fortschritt nicht linear, sondern exponentiell verläuft und die Entwicklungen rund um Artificial Intelligence und Cognitive Computing in den letzten Jahren regelrecht explodiert sind, blendete Minsch in seinem Referat aus.

Auszug aus der Präsentation von Rudolf Minsch.

Wandel ist die Konstante der Zukunft

Die ersten drei industriellen Revolutionen hätten zu höheren Löhnen, weniger Arbeitslosigkeit, mehr Rechte für Arbeitnehmer und mehr Freizeit geführt, sagte der Chefökonom von Economiesuisse. Die vierte industrielle Revolution betreffe nun auch den Dienstleistungssektor.

Zwei Dinge würden aber gleich bleiben: Wer Erfolg haben will, müsse immer noch Probleme lösen können und eine starke Sozialkompetenz haben, sagte Minsch.

Auszug aus der Präsentation von Rudolf Minsch.

In Zukunft sei auf dem Arbeitsmarkt ein Bündel an Kompetenzen gefragt. Soft Skills würden wichtiger, denn da unterscheide sich der Mensch noch von den Maschinen.

Eine "ausschliessliche Fokussierung auf Informatik-Nerds" sei fehl am Platz. Und in der Schule müsse vor allem das Fundament stimmen: Die Erstsprache und die Mathematik.

Lehrer sollten Interesse für Technik und Naturwissenschaften wecken und den Schülern eine positive Einstellung zu Wandel vermitteln. "Denn Wandel ist die Konstante der Zukunft."

"Hier kann es jeder schaffen"

Die Schweiz sei gut positioniert. Sie habe einen flexiblen Arbeitsmarkt und ein hohes Preisniveau, was zu Produktivitätssteigerungen zwinge und "ein Segen für die Digitalisierung" sei, sagte Minsch.

Schweizer Firmen würden auf wertschöpfungsintensive Tätigkeiten statt auf Massenproduktion setzen. Der Anteil repetitiver Tätigkeiten sei gering, das duale Bildungssystem vorbildlich und die Hochschulen ausgezeichnet.

Economiesuisse-Chefökonom Rudolf Minsch (links) und Tagungsleiter Guido Santner.

"Wenn Sie in den USA den Anschluss verpassen, ist der Ofen aus. In der Schweiz ist das nicht der Fall", sagte Minsch. "Hier kann es jeder schaffen."

Aristokratie und Standesdünkel gebe es kaum, stattdessen achte man auf Leistung und Chancengleichheit. Eine Gefahr bestehe aber: Je reicher die Schweiz werde, desto mehr könne sie verlieren. Das löse Ängste aus und sei einer der Gründe, warum konservative Strömungen im Aufwind seien, etwa im Schweizer Parlament.

"Glauben wir an die Zukunft?", frage Minsch zum Schluss seines Referats. "Die Voraussetzungen für die Schweiz sind hervorragend."

Schindler setzt auf iPads

Nach Minsch sprach Rainer Roten, Vorsitzender der Geschäftsleitung von Schindler. Er zeigte auf, wie sich das Unternehmen die Digitalisierung zunutze macht.

Schindler sei der "Hauptindustriepartner" von Apple und setze auf iPads. So sei etwa die App Fieldlink für Servicetechniker für iOS verfügbar. Sie sei weltweit im Einsatz, entwickelt werde sie in der Schweiz.

Auszug aus der Präsentation von Rainer Roten.

"Wir können froh sein, dass wir in der Schweiz so gute Telekommunikationsnetze haben", sagte Roten. Wer Bilder und Dispopläne vom ERP herunterlade, nutze grosse Datenmengen.

Schindler habe seinen ganzen Ersatzteilkatalog digitalisiert und auf Apple-Geräten verfügbar gemacht. Die Suche in der App toleriere Falscheingaben (Fuzzy Search) und unterstütze Autocomplete und umfangreiche Filterfunktionen. Schindler sei es mit der App gelungen, Falschlieferungen zu reduzieren und die Fehlerrate zu senken, sagte Roten.

Der Faktor Zeit ist entscheidend

Auch Heinz Hodel, von 2009 bis 2016 Gruppen-CIO von Emmi und nun selbständiger Berater, hatte seinen Auftritt auf der grossen Bühne. Für Firmen stehe gerade ein "Window of opportunity" offen. Dieses Fenster werde sich aber schon bald schliessen, sagte Hodel. "Unternehmen müssen ihre Geschäftsmodelle und Prozesse ändern – jetzt!"

Auszug aus der Präsentation von Heinz Hodel.

Lebensmittelhersteller haben laut Hodel ein Problem: Sie kennen ihre Kunden nicht mehr. Die Generationen Y und Z hätten ein komplett anderes Einkaufsverhalten als die Baby-Boomer.

Für die Milchindustrie eröffne die Digitalisierung aber eine Vielzahl von Chancen. Etwa Digital Farming, Digital Branding, Predictive Maintenance, Marketing-Automatisierung, Crowdsourcing und digitale Produktplattformen.

Auszug aus der Präsentation von Heinz Hodel.

"In 3 bis 5 Jahren wird sich zeigen, wer die Verlierer und die Gewinner der digitalen Transformation sind", sagte Hodel. Die grösste Herausforderung bei der digitalen Transformation sei die Zeit. Der grösste Feind die organisatorische Trägheit von Unternehmen.

Es gebe rund 55 verschiedene Business-Modelle, mit denen man erfolgreich wirtschaften könne. Das richtige auszuwählen und erfolgreich zu implementieren, sei aber kein einfaches Unterfangen, sagte Hodel.

"Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken"

An der Podiumsdiskussion nahm ausser Minsch, Roten und Hodel auch Dominik Weibel teil. Er war 2013 Mitgründer von Emde Blechfabrik. Der Laserteilhersteller kann komplette Baugruppen in Serien fertigen, wie es auf der Website heisst.

Kunden sollen den Auftragsstatus jederzeit online verfolgen können. Ein weiteres Unternehmen also, das stark auf die Digitalisierung setzt.

"Was braucht es, damit Unternehmen in der Schweiz die digitale Transformation erfolgreich meistern können?", fragte Moderator René Brugger. Der Präsident von SwissT.net, der Dachorganisation der Industriezweige im Schweizer Technologiesektor, glänzte mit Fachwissen und leitete die Diskussion gekonnt.

"Kein Schweizer Unternehmen kann sich der digitalen Transformation entziehen", sagte Hodel. Es seine eine Führungsaufgabe, sich über die Digitalisierung Gedanken zu machen. Roten pflichtete ihm bei. "Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken", sage man im Militär. Das stimme – das Management müsse die Digitalisierung vorleben.

Kampf gegen Silos und Dark Data

Schindler beschäftige in der Schweiz rund 1000 Servicetechniker, sagte Roten. Einige davon hätten noch nie ein iPhone in der Hand gehabt, andere würden zuhause Linux-Server-Farmen betreiben.

Da der Wissensstand so unterschiedlich sei, seien Aus- und Weiterbildung zentral. Schindler habe eine Abteilung gegründet, die sich nur um die digitale Transformation kümmere. Sie bringe Prozess- und ERP-Spezialisten zusammen und baue Silos ab. Ohne organisatorische Änderungen sei das Entwicklungstempo zu langsam und die Digitalisierung nicht zu meistern.

Roten sah das ähnlich. Er meinte, dass die Digitalisierung Hierarchiestufen abbaue. Die digitale Transformation fordere eine neue Art der Zusammenarbeit, bei der klassische Hierarchien nicht mehr so wichtig seien.

"Die Jungen schicken mir auf Whatsapp ein Foto und fragen, wie sie etwas umsetzen müssen", sagte Weibel. Das verursache Probleme. Stichwort: Dark Data.

Man müsse den Mitarbeitern darum gute Apps zur Verfügung stellen. Die Industrie habe bereits vor 20 Jahren versucht, Prozesse zu digitalisieren. Die Technologie sei damals aber noch zu wenig weit fortgeschritten gewesen.

Die Schweizer und ihre "Bünzligesellschaft"

"Alle Firmen brauchen eine digitale Strategie", sagte Hodel. Und damit meine er nicht bloss eine Webpräsenz. Viele Unternehmen würden es nicht einmal fertigbringen, ihre Wertschöpfungskette zu visualisieren.

"Das Silicon Valley zu kopieren, ist der falsche Weg", sagte Minsch. Dort liege der Fokus auf der Plattform-Ökonomie und neuen Geschäftsmodellen. Die Schweiz habe eher andere Stärken. "Eine zusätzliche Portion Risikobereitschaft würde uns aber allen guttun."

Die Schweiz sei "schon eine Bünzligesellschaft", die auf Sicherheit ausgelegt sei, sagte Minsch. Das habe auch mit den Lehrern in der Schweiz zu tun. Sie könnten den Wert Risikobereitschaft nur schlecht vermitteln. Ihr Berufsbild werde es schliesslich auch in 20 Jahren noch geben. "Der Mindset in der Industrie ist völlig anders."

Hodel sagte, dass die Digitalisierung auch Berufsbilder ändere. "Meine Tochter hat Polygrafie gelernt, heute ist sie Interaction Designer."

Innovationskiller IT-Abteilung

Die Referenten diskutieren auch über IT-Sicherheit, Standards und Schnittstellen. Die Schweiz würde sich einen Gefallen tun, stärker auf international anerkannte Standards zu setzen, sagte Hodel. "Am Schluss gewinnt, wer am meisten Schnittstellen bietet."

Hodel machte ausserdem eine Aussage, die man von CIOs selten hört. IT-Abteilungen müssten mit dem Thema Sicherheit lockerer umgehen. Wer zum Beispiel sage, die Cloud komme kategorisch nicht in Frage, könne ein Unternehmen ausbremsen. "Die Kollegen von der IT sind leider oft Innovationskiller", sagte Hodel.

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