Warum Onlinemarktplätze nicht immer die Lösung sind und Alibaba Avatare vermietet
Die E-Commerce-Konferenz Score hat am 1. Juni Premiere gefeiert. Die Rednerinnen und Redner sprachen unter anderem über digitale Influencer, den Nutzen von Onlinemarktplätzen und darüber, weshalb künstliche Intelligenz keine Jobs vernichtet. Ausserdem gab es Tipps für den Aufbau einer B2B-Plattform.
Carpathia, die Schweizerische Post und Postfinance haben am 1. Juni zur ersten Ausgabe der Score (Swiss Conference for Retail and E-Commerce) geladen. Die Veranstaltung ist das Ergebnis des Zusammenschlusses der Connect und Connecta Bern, wie Sie hier lesen können. Durch das Programm führten Malte Polzin, Geschäftsführer von PCP / Steg und Alexandra Scherrer, CEO von Carpathia. Laut Polzin rechneten die Veranstalter mit rund 800 Teilnehmende für die Konferenz im Stage One in Zürich Oerlikon und die anschliessende Verleihung des Digital Commerce Awards.
Bevor es mit den Keynotes, Panel-Diskussionen und Master-Klassen losging, baten die Moderatorin und der Moderator um eine Schweigeminute für den 2021 verstorbenen Carpathia-Gründer Thomas Lang. Zumindest ein kleiner Teil von Lang war doch an der Score dabei. Polzin hatte die berühmten gelben Schuhe des Carpathia-Gründers mitgebracht, welche während des gesamten Events gut sichtbar auf der Bühne standen.
Die Schuhe des verstorbenen Carpathia-Gründers Thomas Lang. (Source: Netzmedien)
Warum KI gar keine Jobs vernichten kann
Die Eröffnungskeynote unter dem Titel "Ist die Zukunft wirklich so schlecht, wie es vorausgesagt wird?" gehörte dem Philosophen und Autoren Gunter Dueck. Zumindest nicht in allen Bereichen lautete das Fazit des Redners auf die Titelfrage. "Alle sprechen davon, dass künstliche Intelligenz Jobs vernichten wird. Aber welche Jobs denn?", fragte Dueck. Zumindest in Deutschland fehle es an Pflegepersonal, Lastwagenfahrerinnen, Lockführern und Fachpersonen aus der Informatik. Jobs, die nicht besetzt sind, kann KI niemandem stehlen, zudem würde sie in den eben erwähnten Bereichen eine Entlastung darstellen.
Philosoph und Autor Gunter Dueck. (Source: Netzmedien)
Ob die Zukunft nun schlecht oder gut wird, laut Dueck ist sie vor allem eines: voraussehbar. Egal ob im Onlinehandel, in der Mobilität oder auf dem Arbeitsmarkt, wer "das Ohr am Boden hat" und den Leuten zuhört, werde nicht überrascht. "Früher wurde Tesla belächelt und als kleiner Fisch abgestempelt und jetzt, rund fünf Jahre später, ist die Firma bald so gross wie VW", sagte der Autor. Eine Entwicklung, die laut Dueck einfach voraussehbar war, hätte man Teslas Strategie und die Bedürfnisse der Konsumentinnen und Konsumenten betrachtet. Daher lautete Duecks Appell ans Publikum auch: "Jetzt hört doch mal zu."
(Source: Netzmedien)
Zalando tüftelt im Prime Tower an Avataren
Florian Jodl, General Manager DACH bei Zalando, gab unter anderen einen Einblick, was das bald im Prime Tower in Zürich beheimatete Zalando-Team in Angriff nehmen wird. Die rund 150 Mitarbeitenden werden sich in erster Linie um technische Angebote des Fashion-Onlinehändlers kümmern. Zalando habe eine Retourenrate von rund 50 Prozent. Ein Drittel der bestellten Kleidung geht laut dem General Manager zurück zum Händler, weil die bestellte Grösse nicht passt. Die Mitarbeitenden im Prime Tower werden dort ansetzten und die personalisierten Grössenempfehlungen für die Kundschaft weiterentwickeln. Zudem sollen sich Konsumentinnen und Konsumenten mit einer App künftig einfach selbst vermessen können. Dazu ist es laut Jodl lediglich nötig, ein paar Ganzkörperfotos von sich hochzuladen. "In einem zweiten Schritt können sich Kunden in der App einen Avatar kreieren und die Kleidung und Accessoires an ihm anprobieren", erklärte Jodl.
Florian Jodl, General Manager DACH bei Zalando. (Source: Netzmedien)
Zudem ging er auf Zalandos Connected-Retail-Projekt ein. Dieses erlaube es Einzelhändlern ihr eigenes Angebot über den Onlineshop des Konzerns zu verkaufen. "Gerade für stationäre Händler ist das ein Gewinn, weil sie so eine grosse Onlinegemeinschaft erreichen können. Die Kundschaft erhält so ausserdem mehr Auswahl und Convenience." In der Schweiz gibt es dieses Modell seit einem Jahr. Laut Jodl sind bereits die Angebote aus 150 Läden auf der Website oder über die App des Modekonzerns erhältlich.
Tipps für eine erfolgreiche B2B-Plattform
Zischen den Referaten gab es an der Score auch einige Panel-Diskussionen. So sprachen Schmobi-CEO Peter Breitenmoser, Reto Müller, Leiter Marketing / IT bei Hebetech und Lena Steiner, CEO von Saviva, darüber, welche Faktoren für eine erfolgreiche B2B-Plattform wichtig sind. Laut Breitenmoser bestand die grösste Herausforderung für Schmobi darin, die nicht besonders onlineaffine Kundschaft auch tatsächlich in den B2B-Onlineshop zu bringen und zu vermitteln, dass auf der Plattform nicht nur Einkaufen möglich ist. Der Schmobi-Shop sei an das ERP-System des Stahlanbieters angeknüpft. Daher sehe die Kundschaft - egal ob sie bereits einmal über den Onlineshop eingekauft oder immer übers Telefon bestellt hat - alle Angaben zu Bestellungen auf der Plattform.
Von links: Andy Huber, Peter Breitenmoser, Lena Steiner und Reto Müller. (Source: Netzmedien)
Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert auch der Onlineshop von Hebetech. Zusätzlich setzt der Spezialist für Hebetechnik und Arbeitssicherheit Content ein, um mehr potenzielle Kundschaft auf die Plattform zu locken. Im eigenen Blog behandelt das Unternehmen für seine Zielgruppe relevante Themen. "So zeigen wir, dass wir nicht nur Produkte verkaufen, sondern uns damit und mit den Bedürfnissen und Sorgen der Kunden wirklich auskennen", sagte Müller.
Eine neue B2B-Plattform bedeutet aber nicht bloss eine Veränderung für die Kundschaft, wie Saviva-CEO Steiner zu Bedenken gab. Ihr Unternehmen wurde 2021 zum Digital Commerce Champion gekürt. Das Saviva Team sei aber trotz anfänglicher Hürden sehr stolz auf die neue Plattform. Als Tipp für Unternehmen, die sich ebenfalls eine B2B-Plattform aufbauen möchten, sagte die CEO: "Wenn Sie schnell etwas entwickeln wollen, dann holen Sie sich die Unterstützung von externen Experten."
Score-Moderatorin und Carpathia-CEO Alexandra Scherrer. (Source: Netzmedien)
Alibaba vermittelt digitale Influencer
Wieder zurück in die Welt des B2C-Handels ging es mit der Keynote von Karl Wehner, Managing Director bei der Alibaba Group für Deutschland, Österreich, Schweiz, CEE und die Türkei. Er beleuchtete den Trend des Live Shoppings - eine sehr beliebte Art des Einkaufens in Alibabas Ursprungsland China. Laut Wehner stammen 10 Prozent des in China generierten E-Commerce-Umsatzes von Live Shopping. Während der Livestreams, die stark an Teleshopping erinnern, kann das Publikum aber nicht bloss zusehen, sondern mit den Personen im Stream interagieren und Fragen zu Produkten und der jeweiligen Marke stellen. "Dieser Markt wird weiter wachsen. Dieses Jahr wird er 500 Milliarden US-Dollar erreichen und 2023 werden es über 700 Milliarden sein", prognostizierte Wehner.
Karl Wehner, Managing Director bei der Alibaba Group für Deutschland, Österreich, Schweiz, CEE und die Türkei. (Source: Netzmedien)
Er sprach auch noch über einen weiteren E-Commerce-Trend aus Fernost, der in erster Linie von Luxusmarken angetrieben wird. So hätten gewisse Anbieter ihre Kleidung und Accessoires digitalisiert. Konsumentinnen und Konsumenten können diese einem eigens erschaffenen Avatar anziehen. "Der letzte Schrei sind virtuelle Brand Ambassadors", fügte Wehner an. Alibaba kreiere selbst digitale Influencer, welche Marken - genau wie Influencer aus Fleisch und Blut - für ihre Kampagnen buchen können. "Ich glaube nicht, dass sich jeder Trend aus China auch hier durchsetzen wird." Live Shopping wird sich laut dem Alibaba-Manager aber sehr wahrscheinlich etablieren.
Score-Moderator und Geschäftsführer von PCP / Steg Malte Polzin. (Source: Netzmedien)
Warum Marktplätze nicht für den Aufbau des Kundenstamms taugen
Kurz darauf räumten Malte Polzin und Stefan Wenzel, Branding- und Marktplatz-Experte, mit Mythen rund ums Thema Marktplätze auf. Laut dem Experten sind Amazon, Ebay, Alibaba und Co. nicht dazu geeignet, sich einen eigenen Kundestamm aufzubauen. "Wer auf einem Marktplatz eine Bestellung generiert, macht zwar Umsatz, erhält aber keine Kundendaten für das eigene CRM. Ein Marktplatz ist ein Vertriebskanal und eignet sich eventuell noch dazu, eine Marke bekannter zu machen", erklärte er.
Von Links: Malte Polzin und Stefan Wenzel, Branding- und Marktplatz-Experte. (Source: Netzmedien)
Auch damit, dass das Direct-to-Consumer-Geschäft eine Modeerscheinung ist und bald nur noch Plattformen regieren werden, zeigte sich Wenzel nicht einverstanden. Viele Marken und Hersteller bevorzugten den Direktverkauf - auch stationär -, da Marktplätze kein Markenerlebnis bieten. "Wenn ein Unternehmen seine eigene Marke wichtig findet, wird es immer auch auf das Direct-to-Consumer-Geschäft setzen."
Zum Trend, dass Hersteller selbst zu Marktplätzen werden und andere Marken aus derselben Branche aufnehmen, sagte der Experte: "Ich halte es schlichtweg für falsch, wenn man direkte Mitbewerber aufnimmt." Anders sei es mit Marken, die das eigene Sortiment erweitern. Als Beispiel nannte Wenzel eine Bekleidungsmarke, die über ihren Marktplatz auch Beauty-Produkte oder Schmuck anbietet.
In den Pausen wurden die Teilnehmenden verköstigt und hatten Zeit zum Austauschen und Kennenlernen. (Source: Netzmedien)
Nach dem Tagesprogramm und einer Verschnaufpause startete die Verleihung des Digital Commerce Awards. Wen Carpathia dieses Jahr zum Digital Commerce Champion wählte, können Sie hier nachlesen.