Wie Hiag Data den Cloud-Markt aufwirbeln will
Hiag Data hat ein Angebot lanciert, das aufhorchen lässt. Die IT-Tochter des Basler Immobilienkonzerns Hiag will eine Nische im Geschäft mit der Cloud entdeckt haben. Was für IT-Dienstleister dabei herausspringen soll und wie sich das Unternehmen auf die neue Datenschutz-Ära vorbereitete, erklärt Hanspeter Tinner, COO von Hiag Data, im Interview.
Sie sind kürzlich in einen umkämpften Markt eingestiegen - mit einer Mischung aus Infrastructure-as-a-Service und einem eigenen Glasfasernetz. Gegen wen treten Sie an? AWS, Equinix oder etwa Swisscom?
Hanspeter Tinner: Gegen keinen von denen. Wir füllen eine Marktlücke. Derzeit ergänzen wir das Angebot der grossen Player. Deswegen betrachten wir sie nicht als unsere Konkurrenten. Doch wir sind der Ansicht, dass ein neuer Markt entsteht. Die Cloud-Industrie steht an der Schwelle zu einem Umbruch.
Wie sieht dieser Umbruch aus?
Nehmen wir die Automobilindustrie. In den 1970er Jahren geriet sie in eine Krise. Damals produzierten die grossen Hersteller wie Ford ihre Einzelteile noch etwa zu 80 Prozent selbst. Es kam zur Überproduktion und das Geschäft rentierte nicht mehr. Später mauserte sich Toyota zum Musterschüler. Die Japaner erkannten, dass sie besser fahren, indem sie mit Zulieferern zusammenarbeiten, sich auf das Design der Fahrzeuge konzentrieren. Etwas Ähnliches geschieht nun im Markt für Cloud-Infrastrukturen.
Was bedeutet dies für einen IT-Dienstleister?
Wer als Systemintegrator Hardware nutzt, um seinen Kunden etwa Private Clouds anzubieten, kann dies heute nicht mehr kosteneffizient tun. Das nötige Know-how ist zwar vorhanden. Aber IT-Dienstleister müssen wettbewerbsfähig sein, ihr Angebot zu attraktiven Preisen vermarkten. Die Konkurrenz wird grösser und somit steigt der Druck, Kosten zu reduzieren. Dies fällt kleineren Unternehmen wesentlich schwerer als den Grossen. Ökonomen sprechen in dieser Hinsicht von Skaleneffekten.
Sie selbst arbeiten deswegen mit grossen Playern zusammen. Gemeinsam mit Microsoft und HPE brachten Sie im April Ihr Angebot an den Start. Was ist der Clou daran?
Wir kombinieren Cloud-Services mit raffinierter, softwaredefinierter Netzwerktechnologie. Wir haben die komplette Layer-3-Funktionen aus dem Netzwerk entfernt und in der Cloud konsolidiert. So konnten wir Kosten reduzieren und gleichzeitig die Performance erhöhen. Zudem können wir auf dieser Basis ein ganz neues Angebot machen: Office 365 quasi als Private Cloud. Unsere Verbindung ins Data Center von Microsoft geht nicht übers öffentliche Netz, sondern über eine private Layer-2-Verbindung.
Rechenzentrumsbetreiber wie etwa Interxion oder Equinix werben ebenfalls mit privaten Verbindungen abseits des Internets.
Das stimmt. Sie bieten zwar Layer-2-Verbindungen an, aber sie haben kein Software-defined networking. Bei uns ist die Layer-2-Konnektivität integraler Bestandteil unserer "Network Centric Multi Cloud 4.0". Cloud-Konnektivität ist bei uns also im cloudbasierten Framework integriert. Einzig mit diesem Schritt ist es möglich, dem Kunden ein Höchstmass an Sicherheit und Performance zu garantieren, eben das erste Cloud-End-2-End-SLA der Welt. Deswegen sind wir bislang die Einzigen, die Office 365 privat anbinden können. Ausser uns ist heute niemand dazu in der Lage.
Sie arbeiten mit SBB Telecom und lokalen Elektrizitätswerken zusammen, um ein eigenes Glasfasernetz nutzen zu können. Ist das der springende Punkt?
Unser Glasfasernetz spielt für unser Angebot sicherlich eine zentrale Rolle. Ein unabhängiges, vom Internet isoliertes Glasfasernetz bietet maximale Sicherheit. Unsere Kunden erhalten eine private Verbindung zwischen ihrem PC und unseren Datenstandorten. Diese Umgebung nennen wir "Edge Cloud". Sie eignet sich insbesondere für geschäftskritische Daten, weil der Datenverkehr von Aussen unsichtbar ist. Zudem erfüllen wir dank unserem Glasfasernetz ein Höchstmass an unterbrechungsfreier Stromversorgung - bis zu 3 Stunden. In dieser Hinsicht übertreffen wir sogar Swisscom oder Sunrise.
Für wen könnte dies interessant sein?
Für IT-Dienstleister, die etwa Banken, Logistiker oder Leistungserbringer aus dem Gesundheitswesen bedienen, ist dieser Punkt matchentscheidend. Und nicht nur Sicherheit und Stabilität, sondern auch die Konnektivität sind für solche Anbieter zentrale Kriterien. Von unseren Datenstandorten aus führt die Verbindung zu internationalen Internet-Knoten in Frankfurt sowie Mailand und weiter nach Amsterdam in die Cloud von Microsoft.
Warum soll sich ein kleiner Systemintegrator für Hiag Data entscheiden und nicht gleich mit Microsoft anbandeln?
Wer direkt zu Microsoft geht, bekommt keine Front-end-Verarbeitung.
Was heisst das konkret?
Wenn sie bestimmte Applikationen mehr oder weniger unverändert in die Cloud migrieren und noch nicht ganz bereit für die Cloud sind, können Probleme auftreten. Denn eine Anwendung läuft auf einer virtuellen Maschine nur dann stabil, wenn die Verbindung stabil ist. Und dies garantieren wir. Tiefe und stabile Latenzzeiten zählen zu unseren grössten Stärken. Als ich mich vor zwei Jahren dafür einsetzte, lachten mich alle aus. Heute redet jeder darüber. Auch dass wir die Daten in der Schweiz speichern, ist für uns ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal.
Dieses Argument dürfte 2019 verpuffen. Ab dann will Microsoft seine Cloud-Dienste in der Schweiz selbst hosten. Google kündigte kurz nach Microsoft denselben Schachzug an. Was bedeutet dies für Sie?
Für uns spielt es keine Rolle, ob Microsoft seine Services aus einem Rechenzentrum in Amsterdam oder aus einem in Zürich heraus anbietet.
Manch kleiner Anbieter, der in eigene Cloud-Infrastruktur investierte, muss sein Geschäftsmodell wegen des Zuzugs wohl überdenken. Spielt Ihnen das nicht in die Karten?
Tatsächlich müssen viele Systemintegratoren ihr Geschäftsmodell ändern, sich weiter zum Service-Provider entwickeln. Denn mit dem Verkauf von Hardware werden insbesondere kleine Anbieter kaum noch viel Geld verdienen. Viele unserer Partner erlitten schon kurz nach diesen Ankündigungen von Microsoft und Google einen spürbaren Rückschlag im Integrationsgeschäft.
Inwiefern?
Wir haben von dramatischen Zahlen im zweistelligen Prozentbereich gehört, die wir allerdings nicht verifizieren können. Ursprünglich gingen wir davon aus, dass es etwa zwei Jahre dauert, bis dieses Geschäft einbricht. Offenbar war dies aber schon nach zwei Monaten der Fall.
Sie wollen von dieser Situation nicht nur profitieren, sondern den Systemintegratoren auch eine Chance bieten, ihr Geschäft wieder anzukurbeln.
Das war von Anfang an unser Ziel. Unser Hauptaktionär und Verwaltungsratspräsident Felix Grisard stellte mir ganz am Anfang jene zwei Fragen, die er immer stellt, wenn es um ein neues Geschäft geht: "Wie können wir mit diesem Geschäftsmodell Geld verdienen?" und: "Was bringt es der Schweiz?"
Wie lautete Ihre Antwort auf die zweite Frage?
Wir schaffen eine Win-Win-Situation. Unser Angebot kurbelt auf lange Sicht die Nachfrage an. Wir entwickeln einen Blueprint, den wir schrittweise ins Ausland tragen. Noch in diesem Jahr eröffnen wir eine Niederlassung in Deutschland. Nach und nach werden wir auch in anderen Ländern Fuss fassen. Auf diese Weise stärken wir auch die Schweiz als exzellenter Datenstandort. So profitiert schliesslich unsere Volkswirtschaft.
Was springt für hiesige IT-Dienstleister dabei heraus?
Wir bieten ihnen die Chance, ihre Leistungen kosteneffizienter anzubieten und neue Angebote zu entwickeln. Wir lancieren zum Beispiel branchenspezifische White-Label-Lösungen. Auf deren Basis können IT-Dienstleister eigene Services kreieren und ihren Kunden anbieten. Derzeit decken wir das Gesundheitswesen und die Medienbranche ab. Zudem starten wir eine Plattform für die Service-Orchestrierung. Deren Ziel ist es, dass unsere Partner ihre Service-Palette besser verwalten können. Schliesslich müssen sich unsere Partner - zumindest auf der Ebene der Cloud-Infrastruktur - nicht um Datenschutzvorgaben kümmern.
Vor ein paar Tagen trat die Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union in Kraft. Wie liefen bei Ihnen die Vorbereitungen auf die neue Datenschutz-Ära?
Wir haben uns früh darauf vorbereitet und konnten sämtliche Vorgaben rechtzeitig erfüllen. Zwar hatten wir den Vorteil, dass wir auf grüner Wiese gestartet waren. Trotzdem war der Aufwand enorm. Ich arbeite schon lange in der IT-Branche und habe mich selten so verschätzt, wie bei der Umsetzung dieser Auflagen.
Womit haben Sie am meisten gehadert?
Mit der Komplexität. Bei uns stellte sich die Frage, ob ein privates Netz unter das Fernmeldegesetz fällt oder nicht. Eine juristisch heikle Frage. Wir gingen vom schlimmsten Fall aus. Nämlich dass das Fernmeldegesetz in unserem Fall greift. Daraus ergab sich folgendes Problem: Erfüllen sie sämtliche Vorgaben der EU-DSGVO, verstossen sie gegen bestimmte Vorgaben des Fernmeldegesetzes.
Zum Beispiel?
Ein Problem betrifft die Log-in-Daten. Gemäss Fernmeldegesetz müssen sie in der Lage sein, diese den Behörden zu übermitteln. Die Datenschutzgrundverordnung verlangt jedoch, dass sie diese Daten anonymisieren und nach einer Woche löschen.
Sie standen also vor einem Dilemma. Wie haben Sie es gelöst?
Wir mussten Vieles auf den Kopf stellen. Schliesslich haben wir eine Lösung gefunden, mit der wir die Daten im Notfall wiederherstellen können. Dies, ohne gegen die Vorgaben der neuen Datenschutzverordnung zu verstossen. Es handelt sich um eine technische, organisatorische und natürlich rechtlich konforme Lösung.
Können Sie ins Detail gehen?
Nein, momentan kann ich keine Details verraten. Es hat uns grosse Kopfschmerzen bereitet, diese Lösung zu finden.
Was hat Sie die Lösung gekostet?
Wir mussten unser Go-to-Market um ein Quartal verzögern. Letztendlich haben wir in die Sicherstellung der Konformität mit der neuen Datenschutzverordnung einen siebenstelligen Betrag investiert. Und wie gesagt: Wir hatten den Vorteil, dass wir erst frisch gestartet waren. Ich kann mir kaum vorstellen, wie dies Unternehmen stemmen wollen, die Legacy-Systeme in die neue Ära mitnehmen wollen.
Ursprünglich wollten Sie dieses Jahr die Profitzone erreichen. Sind Sie noch auf Kurs?
Aufgrund der Vorbereitungen für die neuen Datenschutzrichtlinien sind wir wie gesagt ein Quartal im Verzug. Wir gehen aber davon aus, dass wir uns bis Ende des Geschäftsjahres in Richtung Cash Break Even bewegen und 2019 schwarze Zahlen schreiben.
Wie sieht Ihr Preismodell aus?
Wir haben viele Kosten gestrichen, die bei anderen Anbietern gewissermassen versteckt sind. Nehmen wir etwa unser Angebot an S3-kompatiblem Object Storage: Bei AWS bezahlen sie viel Geld, wenn sie archivierte Daten zurückholen wollen. Bei uns kostet das nichts. Trotzdem verrechnen wir pro Gigabyte nicht mehr als AWS. Für die "Edge Cloud" haben wir verschiedene Preispläne. Stellen sie sich folgendes Beispiel vor: Sie erhalten eine private Verbindung zu Microsoft - bei einer Übertragungsrate von einem Gigabit pro Sekunde symmetrisch - für 1200 Franken pro Monat.
Soviel müsste ein IT-Dienstleister bezahlen. Wieviel könnte er seinen Kunden dafür verrechnen?
Wir empfehlen, dass die Endkundenpreise maximal 10 Prozent teurer sein sollten als die Preise der grossen Public-Cloud-Anbieter. Natürlich können unsere Partner ihre Preispolitik frei gestalten. Aber wir legen trotzdem Wert auf diese Empfehlung. Nach eingehender Prüfung sind wir zum Schluss gekommen, dass niemand einen Aufpreis von 30 Prozent für ein "Swissness-Upgrade" bezahlt. Und es liegt schliesslich auch in unserem Interesse, dass unsere Partner wettbewerbsfähig sind.