Vis-à-vis Thomas Boll und Franz Kaiser

Was Boll und Fortinet zusammengebracht hat und was sie zusammenhält

Uhr
von Coen Kaat

Vor 20 Jahren ist ein Security-Anbieter auf einen Distributor getroffen. Seitdem verbindet Fortinet und Boll Engineering eine erfolgreiche Partnerschaft. Wie es anfing, wie es weiterging und wohin es noch gehen könnte, sagen Thomas Boll, CEO von Boll Engineering, und Franz Kaiser, Country Manager Switzerland bei Fortinet.

Thomas Boll (l.), CEO von Boll Engineering, und Franz Kaiser, Country Manager Switzerland bei Fortinet. (Source: Netzmedien)
Thomas Boll (l.), CEO von Boll Engineering, und Franz Kaiser, Country Manager Switzerland bei Fortinet. (Source: Netzmedien)

Wie kam es vor 20 Jahren zu dieser Partnerschaft zwischen Boll und Fortinet?

Thomas Boll: Das war genau die Zeit, als viele sich zum ersten Mal ans Internet angeschlossen haben und die Bandbreiten stark zunahmen. Wir waren damals bereits mit Firewalls von anderen Herstellern im Markt aktiv. Aber bei diesen Produkten spürten wir schon gewisse Limitationen: Die bestehenden Firewalls waren einfach zu schwach. Wenn man einen Antivirenschutz auf den Perimeter bringen wollte, verlangsamte das den Internet­zugang. Als wir dann von diesem neuen Hersteller namens Fortinet hörten, waren wir schnell überzeugt. Dank Hardwarebeschleunigung waren Fortinets Firewalls viel schneller und so war auch ein Perimeterschutz möglich. In dieser frühen Phase funktionierte das zwar manchmal nur mässig gut (lacht) - aber das Konzept leuchtete einfach ein.

Franz Kaiser: Zu dem Zeitpunkt war ich noch nicht bei Fortinet. Ich kam 2004, also etwa zwei Jahre später zum Unternehmen. Davor war ich für einen Konkurrenten von Boll tätig. Wir schauten uns damals ebenfalls die Fortinet-Firewalls an, aber Thomas war schneller im Unterzeichnen und sicherte sich den Distributionsvertrag (lacht).

Boll: Ich stand ja auch unter mehr Druck. Ich hatte natürlich gemerkt, dass ihr immer mehr verkauft, während ich Leistungsprobleme mit meinen Firewalls hatte (lacht).

Also ging Boll auf Fortinet zu?

Boll: Nein, es war eigentlich mehr ein Zufall. Ich kannte den damaligen Europaverantwortlichen bei Fortinet. Als er hier Distributoren und Reseller besuchte, rief er natürlich seine bestehenden Kontakte an, um ihnen diese neue Firewall zu empfehlen.

Herr Kaiser, wann kamen Sie ins Spiel?

Kaiser: Thomas und ich trafen uns einmal an der Internet Expo für einen Gedankenaustausch.

Boll: Ich hatte gehört, dass Fortinet einen Verantwort­lichen für die Schweiz suchte. Also empfahl ich Franz, diese Möglichkeit zu prüfen.

Kaiser: Was ich dann auch tat. Nur wenige Tage später arbeitete ich bereits für Fortinet.

Wann kam der Zeitpunkt, an dem Sie wussten, dass dies eine solide, starke Partnerschaft werden würde?

Boll: Im Voraus weiss man nie, wie sich so etwas entwickelt. Wir haben auch schon Produkte aufgenommen, die sich nicht durchsetzen konnten oder deren Hersteller aufgekauft wurden. Fortinet setzte sich aber ganz klar durch.

Was waren die Highlights dieser 20-jährigen Partnerschaft?

Boll: Erstaunlich - und erfreulich! - finde ich vor allem, wie sich beide Unternehmen gemeinsam steigern konnten. Fortinet und Boll sind jedes Jahr ohne Ausnahme um etwa 30 Prozent gewachsen. Wir sahen die Möglichkeiten und investierten entsprechend in unser Personal.

Kaiser: Es gab immer wieder kleine Highlights zwischendurch. Aber ich schliesse mich Thomas an: Das kontinuierliche Wachstum beim Umsatz und bei der Anzahl Mitarbeitenden ist sicherlich das grösste Highlight dieser Partnerschaft.

Welche störenden Macken konnten Sie einander auch nach 20 Jahren noch nicht austreiben?

Kaiser: Wachstumsbedingt kommt es automatisch immer wieder zu gewissen Problemen. Aber diese konnten wir mit der Zeit immer ausmerzen. Es half, dass wir stets transparent und offen miteinander kommunizierten. Ich glaube, nun nach 20 Jahren sind keine Spannungen zwischen uns mehr vorhanden.

Boll: Vor allem, wenn es zu personellen Änderungen kommt, kann es stürmisch werden. Es kann ja mal vorkommen, dass zwei Mitarbeitende nicht miteinander klarkommen. Aber wenn es irgendwo klemmte, konnten Franz und ich das jedes Mal wieder geradebiegen.

Kaiser: Diese Zusammenarbeit hätte sonst ja auch nicht 20 Jahre gehalten.

Wo kam es zu Spannungen?

Boll: Fortinet ist eine sehr grosse, weltweit aktive Firma. Im Verhältnis zu uns kann sie manchmal komplex wirken. Boll Engineering verfügt über kurze Entscheidungswege. Vielleicht sind wir darum gelegentlich auch etwas ungeduldig. Aber wir ergänzen uns sehr gut. Wenn man sich zu ähnlich ist, bringt eine Partnerschaft nämlich nicht sehr viel. Auf der einen Seite steht der flexible Distributor, der Lösungen für Probleme sucht; und auf der anderen Seite ist der grosse, stabile Hersteller, der eine Vielzahl an Lösungen bietet. Eine gute Kombination.

Security für Unternehmen kann man nicht einfach im Media Markt kaufen

Wie profitiert der Channel von der Partnerschaft zwischen Boll und Fortinet?

Boll: Der Channel profitiert davon, dass wir schon seit 20 Jahren das Know-how und diese Community aufbauen. Wir versuchen eigentlich immer, eine Einheit vom Hersteller über den Disti bis zu den Partnern zu schaffen. Die Partner hocken nicht einfach am Ende der Lieferkette. Sie sind Teil des Teams. So kann man gemeinsam Projekte anpacken und die Expertise teilen. Und der Partner kann sich darauf konzentrieren, sein eigenes Geschäft auszubauen und weiterzuentwickeln. Genau das meine ich, wenn ich von Value Add spreche.

Kaiser: Boll ist extrem stark, wenn es um die technische Unterstützung der Partner geht. Die Experten von Boll wissen teilweise besser, wie wir funktionieren, als wir selbst (lacht). Wie wertvoll dieser Value Add ist, sieht man auch daran, wie gut Boll jeweils in Distributoren-Rankings abschneidet. Security ist und bleibt ein kompliziertes Thema - entsprechende Unternehmens­lösungen kann man nicht einfach im Media Markt kaufen. Darum werden Partner auch weiterhin einen VAD brauchen.

Ist aufgrund des Jubiläums noch etwas für die Partner geplant?

Boll: Das Jubiläum wird sicher auch ein Thema an unserem jährlichen Channel Happening sein. Nach zwei Jahren der Zurückhaltung hat man jetzt wieder richtig Lust auf solche Veranstaltungen! Wir hoffen, den Event diesen August noch ein wenig grösser zu machen als in den vergangenen Jahren. Wir hatten auch ein paar spezielle Aktionen für die Partner. Mehr ist aktuell nicht geplant. Aber das weiss man bei uns ja auch nie ganz sicher - vielleicht haben wir schon morgen eine tolle Idee.

Wie hat sich das Geschäft mit Cybersecurity in der Schweiz während Ihrer Partnerschaft verändert?

Kaiser: Früher konnte man es als Security-Anbieter vergessen, einen Termin mit einem C-Level-Verantwortlichen zu bekommen. Stattdessen wurde man zu irgendeinem Techniker geschickt, der für IT-Security zuständig war, weil er sich dafür interessierte. Das hat sich heute komplett geändert: Cybersecurity ist heute nicht mehr nur ein Kostenfaktor. Es ist ein Thema für den Vorstand geworden. Schliesslich kann es ja auch juristische Konsequenzen haben oder zu einem heftigen Imageschaden führen, wenn Firmen sich beispielsweise nicht genügend um Compliance kümmern.

Boll: Früher ging es auch vor allem darum, den Perimeter zu schützen.

Kaiser: Ausschliesslich!

Boll: Es gab das Internet und das LAN - und Security war das Ventil dazwischen. Mittlerweile hat sich das Thema auf die gesamte Informationstechnologie ausgedehnt. Ein Perimeterschutz ist zwar weiterhin wichtig, aber er genügt heute nicht mehr. Dadurch wurde das Thema natürlich auch wesentlich umfassender und komplizierter.

Kaiser: Heute setzt man den Schutz nicht erst am Perimeter an. Es sind zwar derzeit verschiedene Themen im Umlauf. Viele verlangen aber darunter liegend in erster Linie eine Zero-Trust-Netzwerkarchitektur. Dies ist ein klarer Unterschied zu der Security vor 20 Jahren. Ausserdem waren früher noch viele der Meinung, dass niemand daran interessiert sein könnte, sie anzugreifen. Das ist heute nicht mehr so.

Gar nicht mehr?

Boll: Bei kleineren Firmen trifft man das teilweise noch immer an. Manche KMUs fragen sich weiterhin, was es denn bei ihnen spannendes zu holen gebe. Aber darum geht es ja gar nicht.

Security ist zu einem Geschäft mit der Angst geworden.

Welche Themen prägen das Security-Geschäft derzeit?

Boll: Der Markt wird von Legal- und Compliance-Themen beeinflusst. Mit dem Datenschutz - insbesondere von personenbezogenen Daten - kamen zusätzlich zu den technischen auch noch organisatorische hinzu. Security ist aber auch zu einem Geschäft mit der Angst geworden; die Angst vor dem, was passieren könnte, wenn ein Hacker durchkommt. Unternehmen fürchten insbesondere einen Reputationsverlust. Denn wenn man eine Attacke melden muss, könnte das so wirken, als ob man seine Arbeit nicht richtig gemacht hätte.

Solange man Geld mit ­Cybercrime verdient, wird es Cyberkriminelle geben.

Wird es irgendwann eine 100-prozentige Sicherheit geben?

Boll: Bislang gibt es sie noch nicht. Heutzutage spricht man eher von der Cyberimmunität. Die Idee dahinter ist es, IT-Systeme so zu bauen, dass sie nicht angreifbar sind. Einen Beweis, dass dieser Ansatz wirklich funktioniert, hat man aber noch nicht erbracht. Meistens ist es nur eine Frage der Zeit, bis Cyberkriminelle einen Angriffsvektor gefunden haben.

Kaiser: Solange man Geld mit Cybercrime verdienen kann, wird es auch immer jemanden geben, der neue Wege sucht, Schutzmassnahmen zu umgehen. Zwei Faktoren verschärfen dieses Problem zusätzlich. Erstens gibt es heute viel mehr mögliche Angriffsvektoren als früher. Und zweitens haben wir wirklich viel zu wenige Fachkräfte im IT-Security-Umfeld. Firmen werden also immer wieder mit der Problematik konfrontiert, wie sie an die richtigen Spezialisten kommen. Und wer keine Fachkräfte findet, versucht das Problem technologisch zu lösen. Aber das allein genügt natürlich nicht.

Wie adressieren Fortinet und Boll diesen Fachkräftemangel?

Kaiser: Mit Trainings, unserem Ausbildungsportal Fortinet NSE Training Institute. Wir haben uns im vergangenen Jahr verpflichtet, innerhalb von fünf Jahren 1 Million Menschen auszubilden. Dazu ergreifen wir alle möglichen Massnahmen, um die vorhandenen Lücken bei den Cybersicherheitskompetenzen zu schliessen.

Boll: Informatiker mit Expertise in den Bereichen Netzwerk und Security zu finden, ist wirklich schwierig. Wir leiden selbst auch darunter: Wir haben praktisch immer offene Stellen. Neuerdings muss ich schon in Deutschland inserieren. Teilweise kann man auch Mitarbeitende intern weiterbilden. Dafür muss aber eine gewisse Basis schon vorhanden sein. Viele der jüngeren Informatikerinnen und Informatiker interessieren sich erfreulicherweise sehr für White Hacking und Angriffstechnologien. Sie wollen wissen, wieso es noch immer möglich ist, die Cyberabwehr zu durchbrechen, nachdem man so viel Aufwand da hineingesteckt hat.

Herr Kaiser, kommt es nun zu dem lange ersehnten Flug ins Weltall?

Kaiser: Den Vertrag mit Virgin Galactic habe ich bereits 2008 unterschrieben. Demnach hätte der Flug eigentlich im August 2011 stattfinden sollen. Er wurde offensichtlich leicht verschoben (lacht). Zurzeit sieht es so aus, als ob es im Laufe des nächsten Jahres soweit sein könnte. Und das klingt auch durchaus realistisch. Ich glaube das zwar erst, wenn ich wirklich abhebe. Aber ich freue mich natürlich schon sehr darauf, die Erde einmal von oben sehen zu können.

Was fasziniert Sie am Weltraum?

Kaiser: Seit dem Mondflug in 1969 fasziniert mit schon alles, was über die Erde hinaus geht. Dazu zählt auch der Gedanke, dass die Erde irgendwann nicht mehr gross genug sein könnte für uns. Das Weltall hingegen ist riesig. Ich lese auch gerne Science-Fiction-Bücher.

Irgendwelche Pläne, nun selbst ein Science-Fiction-Buch zu schreiben?

Kaiser: Nein, ich geniesse diese Bücher lieber (lacht).

Sie waren fast 20 Jahre lange für Fortinet tätig. Hatten Sie in der Zeit nie das Bedürfnis, den Arbeitgeber zu wechseln?

Kaiser: Aufgrund des starken Wachstums, das wir hinlegten, war Fortinet jedes Jahr wie eine neue Firma. Als ich dort begann, beschäftigte Fortinet 270 Personen weltweit. Heute besteht die Belegschaft aus fast 10'000 Personen. Die beiden Gründer, die Brüder Ken Xie (CEO) und Michael Xie (CTO), haben eine wirklich gute Nase dafür, wohin sich der Markt bewegen wird. Zu wissen, dass man beim Innovationsführer arbeitet, sorgt dafür, dass es spannend bleibt. Ich musste also den Arbeitgeber gar nicht wechseln, um etwas Neues zu erleben. Und so sind die Jahre effektiv schneller als erwartet vergangen.

Herr Boll, in einem Interview in 2018 sprachen wir bereits einmal über das Thema Nachfolgeregelung. Damals hatten Sie noch keine Pläne, das Steuer aus den Händen zu geben. Aber Sie sagten auch, dass es in 5 Jahren vielleicht anders aussehen werde. Zwar sind noch nicht ganz 5 Jahre vergangen, aber …

Boll: Ja, natürlich denke ich darüber nach (lacht). Ich hatte einen langen Einstieg und arbeite nun entsprechend an einen langen Ausstieg. Ich begann 2018 damit, die Firma ein wenig zu reorganisieren. Die Geschäftsleitung lag zuvor alleine bei mir. Nun haben wir sie auf fünf Personen verteilt. So kann ich mich mehr mit strategischen Themen als mit dem Tagesgeschäft beschäftigen. Ich will die Firma schrittweise so umgestalten, dass sie irgendwann auch ohne mich noch funktioniert. Denn ich will keine Angst haben müssen, dass niemand mehr weiss, was wo ist und wie alles funktioniert, wenn ich sie nicht mehr leite. Mein erstes Ziel ist es, auf ein 100-Prozent-Pensum zu reduzieren (lacht).

Kaiser: Das ist doch schon mal etwas (lacht)!

Boll: In den nächsten Jahren wird sicher jemand die CEO-Funktion übernehmen. Wann es soweit sein wird, hängt natürlich auch von der Suche nach der richtigen Person ab. Ob ich mich dann in den Verwaltungsrat zurückziehen werde, weiss ich jetzt aber noch nicht.

Wie lautet Ihre persönliche Botschaft an den Channel?

Boll: Es ist wichtig, dass man sich für ein Produkt entscheidet, das eine gewisse Vielfalt an Lösungen ermöglicht. Mit einem grossen Hersteller wie Fortinet im Portfolio findet man für jeden Kunden die richtige Lösung. Denn die Kunden sind heute nicht glücklich mit nur einer Firewall. Weil sie alle ihre individuellen Bedürfnisse haben, ist eine umfassende Beratung erforderlich. Und dafür sind wir da: Wir helfen gerne. Die Partner müssen nicht alles selbst herausfinden. Wir haben diese Themen vorgedacht, damit die Partner mit unserer Expertise ihre Geschäfte beschleunigen können.

Kaiser: Meine Botschaft ist ganz einfach: Es sollen sich alle für Fortinet entscheiden, denn wir sind die Besten (lacht).

Persönlich:

Thomas Boll ist 1959 in Zürich geboren und wohnt in Baden. 1988 gründete er Boll Engineering. Das damalige Software­entwicklungsunternehmen hat sich unter seiner Leitung im Laufe der Zeit zu einem der führenden IT-Security-Distributoren in der Schweiz entwickelt. Der CEO und Inhaber des in ­Wettingen und Lausanne domizilierten Unternehmens ist diplomierter Elektroingenieur ETH, Vater zweier erwachsener Kinder und in seiner Freizeit oft auf dem Wasser anzutreffen. (Source: Boll Engineering)

Franz Kaiser, 62, ist seit Anfang 2004 für Fortinet in der Schweiz tätig. Er ist in Graz aufgewachsen und hat einen Dipl.-Ing.- sowie MBA-Abschluss. Vor seiner Zeit bei Fortinet war er in Vertriebs- und Geschäftsleitungspositionen im ICT-Umfeld sowie als Gründer von Sovisto aktiv. 2008 reservierte er einen Allflug mit Virgin Galactic. Er ist seit 25 Jahren verheiratet und hat ­keine Kinder. (Source: Fortinet)

Webcode
DPF8_254834