"Swiss.com ist die umsatzstärkste E-Commerce-Website der Schweiz"
Hinderling Volkart und Swiss sind Master of Swiss Web 2015. Wie wertvoll ist diese Auszeichnung? Michael Hinderling, Severin Klaus und Michael Volkart im Interview.
Gratulation zum Master of Swiss Web 2015! Hat man in der Agentur mit dieser Auszeichnung gerechnet?
Michael Hinderling: Nach dem Master-Titel 2014 hofften wir insgeheim auch dieses Jahr wieder auf eine realistische Siegeschance. Als wir sahen, dass wir gleich mit zwei Projekten für den Master nominiert wurden, war die Freude riesig. Der Weg zur Trophäe ist nicht einfach – schliesslich gab es noch zehn andere Master-Nominierungen. Und wir befürchteten, dass sich unsere beiden Projekte gegenseitig Stimmen streitig machen.
Severin Klaus: Master-Nominierungen gab es für Hinderling Volkart schon einige, aber das muss ja nichts heissen – die Konkurrenz war stark. Wir alle fieberten am Event-Abend mit, und am Ende reichte es tatsächlich. Das ist grandios, vor allem auch, weil wir in das Swiss-Projekt besonders viel Herzblut gesteckt hatten.
Was bedeutet die Auszeichnung für Hinderling Volkart?
Michael Volkart: Der Titel ist eine grosse Bestätigung für unsere Arbeit und die hohen Ziele, die wir uns gesteckt haben. Auch sind die Auszeichnungen beim Best of Swiss Web eine Bestätigung für den Mut, den es auf Kundenseite braucht, um etwas Besonderes zu erschaffen. Zusätzlich freut es uns, dass wir neben dem Master auch in den für uns wichtigsten Kategorien Creation und Mobile Web Gold gewinnen konnten.
Klaus: Die Auszeichnung bedeutet uns auch als Team sehr viel. Am Swiss-Projekt waren schliesslich fast alle unsere Mitarbeiter in irgendeiner Form beteiligt. Der Master-Titel ist eine Bestätigung unserer gesamten Agenturarbeit. Er zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Hinderling: Der Best of Swiss Web Award hat in der Schweizer Kommunikationsbranche eine grosse Bedeutung. Bei neuen Anfragen spielt das Agentur-Ranking oft eine ganz wichtige Rolle. Am Tag nach der Preisverleihung gingen bei uns zwei Anfragen ein, die explizit auf den Master Bezug nahmen. Wir mussten die Projekte zwar ablehnen, aber das zeigt, was ein solcher Preis bewirken kann.
Läuft es momentan so gut, dass Hinderling Volkart Projekte ablehnen kann?
Hinderling: Es gibt mehrere Gründe, warum wir Projekte ablehnen müssen. Wenn eine Anfrage kommt, überlegen wir uns nicht nur, ob wir das Projekt überhaupt bewältigen können, sondern auch, ob es zu unserem Unternehmen passt. Das ist gegenüber potenziellen Kunden nur fair. So konzentrieren wir uns voll und ganz auf diejenigen Projekte, die wir annehmen. Lieber weniger machen, dafür richtig!
Klaus: Entscheidend ist auch, dass der Kunde bereit ist, eng mit uns zusammenzuarbeiten. Jedes unserer Projekte soll gut genug sein, um als Referenz genutzt zu werden. Das kann nur gelingen, wenn das Zusammenspiel von Kunde und Agentur reibungslos verläuft.
Volkart: Besonders interessant sind für uns Projekte, bei denen mindestens ein Aspekt nicht dem Durchschnitt entspricht. Ich denke da zum Beispiel an überdurchschnittlich innovative Technologien, aussergewöhnliche Ideen, ein ungewöhnliches Storytelling oder ein spezielles Umfeld. Wir suchen genau solche Herausforderungen, denn da blühen wir auf.
Wieso wollte Swiss überhaupt eine neue Website?
Hinderling: Das letzte Redesign der Swiss-Website lag schon einige Jahre zurück, und das merkte man dem Webauftritt in vielerlei Hinsicht an. Swiss wollte mit der neuen Website vor allem drei Dinge erreichen: Eine bessere User Experience, eine angenehme Nutzung auf mobilen Geräten und eine Steigerung der Onlinebuchungen. Man darf nicht vergessen, dass Swiss.com die umsatzstärkste E-Commerce-Website der Schweiz ist. Das bedeutete auch, dass wir uns keine Fehler erlauben durften. Das Booking-System zum Beispiel muss perfekt funktionieren.
Wann ging die neue Swiss-Website online?
Volkart: Am Tag der Durchführung von Best of Swiss Web war die neue Swiss-Website fast auf den Tag genau ein Jahr online. Es stellte sich also die Frage, ob der Webauftritt noch genug präsent ist, und ob er von der Jury immer noch als innovativ und neuartig wahrgenommen wird. Unsere Sorgen waren aber glücklicherweise unbegründet.
Klaus: Wenn ein Juror eine gut umgesetzte Website zum ersten Mal sieht, wirkt sie frisch und knackig. Das Innovative ist in diesem Moment stark spürbar. Die Swiss-Website war aber schon eine Weile im Netz. Die Juroren kannten sie bereits. Der Enthusiasmus für das Projekt war darum keineswegs selbstverständlich. Wir hätten den Webauftritt übrigens fast schon letztes Jahr eingereicht. Die Website ging aber erst kurz nach dem Anmeldeschluss online.
Gab es bei der Umsetzung besondere Herausforderungen?
Klaus: Die Komplexität und der Umfang. Es gab hunderte Seiten, die nicht über ein CMS realisiert wurden. Das bedeutet, dass es auch viele Ausnahmen gibt, und die müssen speziell behandelt werden. Alle Unterseiten mussten zudem komplett responsive umgesetzt werden, was eine zusätzliche Herausforderung war. Der E-Commerce-Prozess war im Unterschied zu anderen Onlineshops zwar linear aufgebaut, dafür war die Einbindung der Drittsysteme umso schwieriger.
Volkart: Eine weitere Herausforderung war, dass wir viele Spezialfälle und besondere Details erst im Verlaufe des Projekts entdeckten. Trotzdem gelang es uns, den Arbeitsaufwand gut einzuschätzen. Wir mussten zwar etwas Arbeit drauflegen, aber der Mehraufwand hielt sich im Rahmen.
Klaus: Da wir schon zu Beginn wussten, dass das Swiss-Projekt ungewohnt umfangreich ist, versuchten wir, möglichst detailliert und realistisch zu kalkulieren. Das war wichtig. Die ganze Komplexität der Umsetzung des neuen Buchungsprozesses offenbarte sich uns nämlich erst in der Konzeptionsphase.
Und die Technologien?
Klaus: Für die Front-End-Entwicklung mussten wir zuerst einen neuen Stack aufbauen, wobei wir auf die Ruby-Bibliothek Middleman setzten. Unsere alte Entwicklungsumgebung wäre bei diesem Projekt an ihre Grenzen gestossen. Dabei wurden auch interne Prozesse bei Hinderling Volkart umgestaltet. Wir arbeiten in der Entwicklung nun modularer als vor dem Swiss-Projekt, wovon wir auch in Zukunft profitieren können. Ansonsten nutzten wir HTML, CSS und Javascript. Swiss setzt im Back-End auf eine .Net-Umgebung, auf diverse Buchungssysteme und zum Teil auch auf ein stark adaptiertes Sharepoint.
Musste auch Swiss ihre Prozesse anpassen?
Klaus: Nur beschränkt. Swiss nahm aber Änderungen in ihrem Software-Testing vor. Man darf nicht vergessen, dass auf Dutzenden von Android-Geräten getestet werden muss. Dieser Prozess ist sehr zeitaufwändig und dauerte mehrere Monate.
Hinderling: Ausserdem sagte Swiss Ja zu unserem Konzept, auf redaktionelle Inhalte zu den verschiedenen Destinationen zu setzen. Hierfür involviert Swiss seit dem Relaunch ihre Crew viel stärker in der Erarbeitung von Inhalten.
Und wie lange dauerte das gesamte Projekt?
Volkart: Vom Projektstart im Herbst 2012 bis zur Onlineschaltung dauerte es rund eineinhalb Jahre. Ein halbes Jahr Design, ein halbes Jahr Front-End, ein halbes Jahr Back-End und Implementierung von Schnittstellen.
Hinderling: Am Pitch nahmen acht Agenturen teil. Unser Konzept siegte wohl auch, weil es die ganze "Customer Journey" vom Anfang bis zum Schluss abbildet. Die Reise des Kunden ist nach der Buchung des Flugs noch nicht zu Ende. Der Kunde kann sich dann auf der Plattform über die Zieldestination informieren. Dafür wurde ein neuer Website-Bereich geschaffen, der von Swiss-Mitarbeitern aktiv gepflegt und stetig ausgebaut wird.
Welche Rolle spielt Social Media auf der Website?
Klaus: Die Swiss nutzt Social Media stark, unter anderem Twitter und Instagram. Tripadvisor ist auf der Website eingebunden, und mehr Funktionen im Social-Bereich sind geplant. Auch für seine Swiss-Explorer-Kampagne setzte die Airline stark auf die Karte Social Media.
Welche weiteren Partner gab es für das Projekt?
Hinderling: Swiss kooperierte für redaktionelle Texte mit der Textagentur Supertext. Und für die Umsetzung der Swiss-Apps, die wir komplett neu entwickelten, arbeiteten wir eng mit der Zürcher Mobile-Agentur Edge5 zusammen.
Klaus: Wir wurden zudem von der Firma Neno unterstützt, im Front-End, Set-up und mit zusätzlicher Manpower.
Warum gibt es eigentlich keine Swiss-App für Windows Phone?
Klaus: Die neue Website von Swiss funktioniert problemlos mit Windows Phones. Eine App gibt es aber tatsächlich noch nicht. Der Entscheid von Swiss hat wohl mit dem noch geringen Marktanteil von Windows Phone zu tun. Gut möglich, dass später mal eine App folgen wird.
Swiss behauptet, sie habe die erste «Fully responsive Airline Website» geschaffen. Stimmt das?
Klaus: Das ist tatsächlich so. Als Swiss mit ihrer neuen Website online ging, war sie die einzige Fluggesellschaft auf der ganzen Welt, die durchs Band auf Responsive Design setzte. Bei anderen Airlines war jeweils nur ein Teil der Website responsive gestaltet. Auf swiss.com hingegen sind ausnahmslos alle Inhalte auch für Mobile optimiert.
Hinderling: Das dürfte damit zu tun haben, dass in dieser Branche viele Fremdsysteme im Einsatz sind, die etliche Jahre auf dem Buckel haben und Altlasten mit sich bringen. Das macht ein Responsive Design schwierig. Im Airline-Umfeld ist der Konkurrenzdruck riesig. Für die Swiss ist es darum entscheidend, dass sie agil handeln kann. Gerade der Buchungsprozess ist für eine Airline von strategischer Bedeutung. Swiss hat das erkannt, was sich nun auszahlt.
Inwiefern?
Volkart: Seit dem Relaunch sind die Buchungen über die Swiss-Website um 15 Prozent gestiegen. Die Website wird nun dreimal öfters mobil angesurft als zuvor, und die Mobile-Buchungen haben sich gar verzehnfacht. Diese Zahlen sind beeindruckend.
Wie geht es nun weiter mit Swiss.com?
Hinderling: Wir werden unter anderem das Booking-Konzept weiter verbessern. Und es wird neue Konfigurationsmöglichkeiten geben, die dem Nutzer ein personalisierteres Browsen der Website ermöglichen werden. Mehr dürfen wir aber noch nicht verraten.
Hinderling Volkart hat sich dazu entschieden, keinen Full Service mehr anzubieten. Warum?
Hinderling: Unsere grosse Stärke ist Kreation, digitale Markenführung und der Bau von Plattformen. Wir entschieden, uns voll und ganz auf unseren Kern zu konzentrieren.
Volkart: Wir stellten auch fest, dass das Know-how auf Kundenseite stark zunimmt und es für Kunden nicht mehr so wichtig ist, eine klassische Lead-Agentur zu haben. Heute sind eher spezialisierte Agenturen gefragt, die zwar nicht alles können, ihre Domäne dafür aber absolut beherrschen. Die Realität zeigt, dass es sehr schwierig ist, klassische Werbung mit dem digitalen Bereich in einer Agentur organisch zu vereinen.
Eine Frage der Kultur?
Volkart: Auf jeden Fall. Auch bei uns stellte es sich als sehr schwierig heraus, das Know-how der klassischen Werbung in unsere Digitalprojekte einzubinden. Es treffen hier unterschiedliche Kulturen aufeinander. Es war einer der Gründe, uns gegen den weiteren Ausbau zu einer Full-Service-Agentur zu entscheiden. Der Ausbau wäre nicht organisch gewesen und darum schwierig geworden.
Das klingt so, als ob sich Hinderling Volkart bewusst gegen zu viel Wachstum ausspricht.
Volkart: Das kann man so sehen. Wichtig war es uns, dass ein Wachstum aus unserem Kern heraus geschehen kann. So gesehen ergibt die Spezialisierung für uns Sinn. Es ist heute entscheidend für eine Agentur, flexibel und agil zu sein. Nicht mehr "big beats small", sondern "fast beats slow".