DNA für Storage und Nachverfolgung

ETH-Forscher speichern Terabytes an Daten in gläsernen Fossilien

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von Coen Kaat und jor

Wendelin Stark und Robert Grass haben den Erfinderpreis 2021 vom Europäischen Patentamt erhalten. Die ETH-Forscher entwickelten ein Verfahren, um massive Datenmengen über Jahrtausende in Form von DNA zu speichern. Erste kommerzielle Anwendungen gibt es bereits.

Die ETH-Forscher Wendelin Stark (links) und Robert Grass haben den Europäischen Erfinderpreis 2021 erhalten. (Source: zVg)
Die ETH-Forscher Wendelin Stark (links) und Robert Grass haben den Europäischen Erfinderpreis 2021 erhalten. (Source: zVg)

Das Europäische Patentamt (EPA) hat den Schweizer Forscher Wendelin Stark und seinen österreichischen Kollegen Robert Grass mit dem Europäischen Erfinderpreis 2021 geehrt. Den Preis erhielten Stark und Grass, die am Departement für Chemie und Angewandte Biowissenschaften der ETH Zürich zusammenarbeiten, in der Kategorie "Forschung", wie das EPA mitteilt.

Die beiden Wissenschaftler überzeugten die internationale Jury mit ihrem Speicherverfahren. Dabei werden digitale Daten in künstlicher DNA gespeichert – dem genetischen Bauplan von Lebewesen. Diese Molekülstränge sind jedoch sehr empfindlich. Nach Kontakt mit Wasser, Luft oder Hitze werden sie schnell chemisch zersetzt.

Um dieses Problem zu lösen, liessen sie sich von Fossilien inspirieren. Diese könnten DNA über Hunderttausende von Jahren konservieren. Unter Starks Leitung schloss das Team von Grass synthetische DNA in winzige Glaspartikel ein. Die kleinen Kügelchen sind bis zu 1000 Mal dünner als ein Blatt Papier, wie es in der Mitteilung heisst.

Diese "Glasfossilien" schützen die DNA und die darin gespeicherten Informationen vor ätzenden Substanzen und Temperaturschäden. Und zwar deutlich länger, als dies auf digitalen Medien möglich ist.

Um die DNA zu schützen, wird sie in gläserne Fossilien gehüllt. (Source: zVg)

"Bei normalen Umgebungstemperaturen ist dies über Hunderte bis Tausende von Jahren möglich", sagt Stark auf Anfrage. "Wenn Sie den Speicher bei Tiefkühler-Temperaturen lagern, also so um minus 20 Grad Celsius, dann werden es Hunderttausende bis eine Million Jahre."

Eine fast unvorstellbare Datenmenge

Durch dieses Verfahren ist der Datenspeicher nicht nur langlebiger, sondern auch extrem kompakt. "Das theoretische Maximum für DNA-Speicherung liegt bei 200 Millionen Terabyte pro Gramm DNA", sagt Stark. "Eine fast unvorstellbar grosse Datenmenge." Zum Vergleich: Alle Videos, die derzeit auf Youtube zu finden sind, entsprechen gemeinsam "nur" 400'000 Terabyte.

Für diese Verkapselungsmethode erhielten die beiden Erfinder 2018 das europäische Patent. Über das ETH-Spin-off Haelixa haben sie die Technologie seitdem kommerzialisiert. Damals speicherten sie das Album "Mezzanine" der Gruppe Massive Attack auf DNA.

Steht die Welt kurz davor, Urlaubsfotos künftig auf DNA-basierten USB-Sticks zu speichern? "Nein, so schnell geht das nun doch nicht", antwortet Stark. DNA sei super, um Daten hochkompakt und lange zu speichern. "Wenn wir rasch und oft darauf zurückgreifen wollen, ist die elektronische Variante deutlich besser", sagt der ETH-Forscher.

Wendelin Stark von der ETH Zürich. (Source: zVg)

"Ein aktiver Verwendungszweck beinhaltet hochfrequenten Zugang, also abrufen und allenfalls wieder ablegen der Daten", erklärt Stark. Hier seien die ladungs- oder magnetisierungsbasierten Verfahren viel schneller.

Zuerst baden, dann lesen

Um die im Glas fossilisierten Informationen zu lesen, müssen die Kapseln zunächst mit einer Fluoridlösung behandelt werden. Diese löst das Glas auf, ohne dabei die Informationen zu beschädigen. Anschliessend wird die DNA in einem sogenannten Sequencer analysiert.

"Hier wird die chemische Sequenzinformation wieder in eine optische oder elektronische Form zurück übersetzt, und steht dann der klassischen Datenverarbeitung oder Darstellung zur Verfügung", erklärt Stark. In der Biologie und der Medizin sei dieser Vorgang schon eine "alltägliche Tätigkeit" geworden.

Dieses Glas könnte wohl sämtliche Videos auf Youtube enthalten. (Source: zVg)

"Die Übersetzung bedingt den Gebrauch von Flüssigkeits-handhabenden Geräten, den Verbrauch von Reagenzien und erzeugt ein materielles Nebenprodukt, einen 'Abfall', wenn man so will", ergänzt Stark. "Der Nutzen der Übersetzung der Daten muss also genug gross sein, damit dies wirtschaftlich Sinn macht."

Stark vermutet, dass die DNA-Technologie nur Sinn machen wird, wenn man auf begrenztem Raum sehr viele Daten sehr lange speichern und nur selten nutzen muss. "Ich kann mir grad noch nicht so genau vorstellen, wo wir über einen Zeitraum von Hunderten von Jahren was speichern wollen", sagt er.

Erste kommerzielle Nutzung

Bei der Archivierung und Langzeitspeicherung ist die Technologie gemäss Stark noch Jahre von einer kommerziellen Lösung entfernt. "Hier haben wir ein Markteinführungs- und Skalen-Problem, das vor allem durch einen grossen Anbieter gelöst werden könnte."

Trotzdem wird die Technologie bereits genutzt. Wie es in der Mitteilung des EPA heisst, haben sich die gläsernen "Fossilien" als robuster Barcode für Nachverfolgungszwecke bewährt: Die kleinen Kapseln könnten auf ein Produkt oder eine Substanz aufgebracht und später zur Verifizierung abgerufen werden.

Haelixa verwende die Glasfossilien etwa zur Herkunftsdeklaration bei Baumwolle für nachhaltig erzeugte Kleidung, Smaragden aus Minen mit akzeptablen Arbeitsbedingungen und seit kurzem auch für den Herkunftsnachweis von Gold.

Microsoft forscht mit

Bei der Forschung werden Stark und Grass seit einigen Jahren von Microsoft unterstützt. Der US-amerikanische Tech-Gigant hat übrigens Ende 2019 selbst ein fast unkaputtbares Speichermedium für die Fast-Ewigkeit vorgestellt: Quarzglas. Das neue Speichermedium soll dereinst eine kostengünstige und haltbare Alternative zu aktuellen Storage-Technologien werden - und auch mit Azure kompatibel sein. Lesen Sie hier mehr dazu.

Microsoft speicherte 2019 den Film Superman auf eine Scheibe aus Quarzglas. (Source: zVg)

"Die Quarzglas-Technologie ist sehr cool, sie hat aber einen anderen Verwendungszweck und Zeitraum", sagt Stark dazu. DNA habe eine massiv höhere Speicherdichte. So könnten also viel mehr Daten pro Volumen gespeichert werden.

Gemeinsam mit Microsoft entwickelten die ETH-Forscher bereits mehrere Folgetechnologien zur DNA-basierten Datenspeicherung. "Hier bin ich selbst sehr gespannt, was in den kommenden Jahren passieren wird!", sagt Stark.

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