Heftiger Umbruch im ECM-Markt
Der Markt für ECM- und DMS-Systeme ist derzeit drastisch im Umbruch. Dank zweier neuer Technologien erreichen moderne Systeme ein völlig neues Niveau im Kundennutzen. Gleichzeitig trennt sich bei den Produkten die Spreu vom Weizen, da viele etablierte Hersteller diesen Trends nicht folgen können.
Die beiden neuen Technologien sind Document Automation und generative KI. Sie weiten die Nutzung deutlich auf frühe Phasen im Lebenszyklus von Dokumenten aus und erlauben mehr Tiefe bei der Arbeit mit Dokumenten durch völlig neue Formen der Interaktion und Automatisierung.
Document Automation
Unter Document Automation versteht man die vollautomatische Erstellung individueller Dokumente auf der Basis von Bausteinen und Vorlagen. Die dazu notwendigen Bausteinbibliotheken und Automatisierungen können auch von IT-Laien mittels eines No-Code-Ansatzes gepflegt werden. Typische Anwendungsfälle finden sich überall dort, wo eine Vielzahl von ähnlichen, aber inhaltlich individuellen Dokumenten erstellt werden muss – wie etwa bei Verträgen. Gute Lösungen erlauben es, dass der Kunde notwendige Angaben in einem Web-Front-End im Selfservice tätigt, die dann bei der Erstellung des Vertrags berücksichtigt werden. So können beispielsweise Name und Anschrift der Vertragspartner automatisiert eingefügt und je nach Angaben bestimmte Vertragsklausen ergänzt oder weggelassen werden.
Generative KI
Generative KI ist einer breiten Öffentlichkeit vor allem durch ChatGPT bekannt geworden. Integriert man diese Technologie in das ECM, können Nutzerinnen und Nutzer mit natürlichsprachlichen Fragen in ihren Informationsbeständen recherchieren, sich automatisiert Dokumente zusammenfassen, umformulieren oder übersetzen lassen. Im Gegensatz zu ChatGPT geschieht das jedoch völlig sicher und datenschutztechnisch unbedenklich. Für Wissensarbeitende wird dank der KI aus dem ECM-System damit ein intelligenter Assistent bei der täglichen Arbeit.
Drei Hürden für Hersteller
Möglich ist der Einsatz dieser beiden Technologien nur, wenn das ECM-System drei wesentliche Prinzipen vollständig verinnerlicht hat. Erstens muss das ECM umfassend Metadaten automatisiert erstellen und nutzen. Nur so sind eine detaillierte Klassifizierung und Verknüpfung mit anderen Informationen möglich, die den Kontext von Dokumenten herstellen.
Zweitens müssen vom ECM möglichst viele Repositories wie Filesystem, Sharepoint, ERP und CRM sowie Cloud-Suites wie Google Workspace angeschlossen und verwaltet werden können. Sonst bleiben zu viele Informationen in isolierten Silos von der einheitlichen Verwaltung ausgenommen und fehlen den Nutzerinnen und Nutzern bei der Bearbeitung.
Drittens sollten Nutzerinnen und Nutzer dort abgeholt werden, wo sie sich befinden, damit schnell eine kritische Masse von den Vorteilen profitiert und die Akzeptanz der Lösung hoch ist. Dazu muss sich das ECM in die Benutzeroberflächen der gängigsten Applikationen wie Microsoft Office, Outlook, Sharepoint und Teams, aber auch Salesforce oder Microsoft Dynamics einklinken können. Das wertet diese Anwendungen auf und erspart Nutzerinnen und Nutzern den ständigen Wechsel zwischen Applikationen.
Partner müssen sich nun positionieren
Der Nutzen von Document Automation und generativer KI ist so gross, dass Kunden zukünftig davon profitieren werden wollen. Alle Beratungshäuser und Implementierungspartner von ECM-Herstellern sollten deshalb intensiv prüfen, ob und wie schnell die genutzte Plattform diese Technologien unterstützen kann. Ansonsten stehen sie schnell auf dem Abstellgleis.
"KI bietet einen völlig neuen Zugang und ein neues Level an Unterstützung"
Mit dem Aufkommen neuer Technologien wie generative künstliche Intelligenz ändert sich auch die Art, wie man Dokumente erstellt, verwaltet und verarbeitet. Welche Chancen sich damit für den Channel auftun und wie man diese ergreift, sagt Christian Habenstein, Director Partner Sales Westeuropa bei M-Files. Interview: Coen Kaat
Wie ändert sich die Arbeit mit Dokumenten?
Christian Habenstein: Lag der Fokus in der Vergangenheit auf der Verwaltung von Dokumenten, dehnen sich die Anforderungen heute in zwei Richtungen entlang des Lebenszyklus von Dokumenten aus: Nutzende erwarten jetzt mehr Unterstützung zum einen bei der Erstellung von Dokumenten, zum anderen bei deren Nutzung. Hier sind Document Automation und Knowledge Work Automation die Antwort auf diesen Bedarf. Document Automation meint die teilweise oder vollständig automatisierte Erstellung von Dokumenten, Knowledge Work Automation beschreibt die intensive Nutzung und Auswertung von Dokumenten in der sogenannten Wissensarbeit, also der Lösung individueller Fragestellungen durch die kreative Entwicklung von Ansätzen.
Welche Anwendungsfälle kommen durch Document Automation in Reichweite?
Es eignen sich alle Anwendungsfälle, bei denen auf der Basis eines komplexen Fundus an Textbausteinen individuelle Dokumente erstellt werden, etwa rechtliche Dokumente wie Verträge. Mit M-Files Ment investiert ein Anwalt einmal seine Zeit in die Modellierung eines Vertragsregelwerks und dies dank des No-Code-Ansatzes ohne Programmierkenntnisse. Anschliessend kann das ECM ein Dokument auf Basis der individuellen Vorgaben automatisiert erstellen. Die Qualität ist dabei gleichbleibend hoch und die Textbausteine sind stets aktuell. Die Zeiten, in denen man irgendein altes Dokument als Basis herangezogen hat und jedes Mal manuell adaptieren musste, sind also vorbei. Besonders cool wird es dann, wenn die Klienten ihre Wünsche an den Vertrag über ein intuitives Webportal im Selfservice äussern können und diese direkt in die automatische Erstellung einfliessen.
Wie verändert KI das Dokumentenmanagement?
KI kann automatisiert beliebig grosse Mengen an Dokumenten inhaltlich erschliessen, also nach einheitlichen Kriterien klassifizieren, je nach Klasse mit individuellen Metadaten versehen und miteinander verknüpfen. Diese Transparenz müsste andernfalls manuell hergestellt werden. Sie erleichtert den Nutzenden die Arbeit, weil sie Informationen einfacher finden und diese im Kontext zueinander sehen. Zudem erlaubt die KI, Dokumente entsprechend ihres Wertes und ihrer Sensibilität automatisiert richtig zu behandeln – etwa durch entsprechende Zugriffsregeln, dedizierte Archivierung oder durch das Starten spezieller Workflows.
Worin liegt der Nutzen beim Einsatz von generativer KI im ECM, und für welche Zielgruppen lohnt er sich?
Generative KI bietet einen völlig neuen Zugang und ein neues Level an Unterstützung. Nutzende können beispielsweise mit M-Files Aino per Chat natürlichsprachliche Fragen an den Inhalt ihrer Dokumente stellen oder sich Dokumente zusammenfassen lassen. Stellen Sie sich vor, Sie haben einen detaillierten Projektbericht mit Hunderten von Seiten und können Ihr ECM nun fragen: «Was waren die fünf kritischsten Herausforderungen im Projekt?» Oder Sie bitten es um eine einseitige Zusammenfassung. Technologisch stehen wir hier am Anfang einer wirklich grossen Veränderung im Umgang mit Dokumenten und Informationen. Deshalb gehören zur Zielgruppe für generative KI im ECM eigentlich alle, die regelmässig mit Dokumenten arbeiten.
Welche Sicherheitsbedenken gibt es beim Einsatz von KI in diesem Bereich?
Für das Business kann die KI nur dann nachhaltig Wert generieren, wenn sie auf die realen Dokumentenbestände eines Unternehmens zugreifen kann. Diese sind natürlich vertraulich und man will sie nicht in irgendeine KI-Blackbox ausserhalb des Unternehmens stecken, wo nicht klar ist, was mit den Informationen geschieht. Deshalb ist es aus unserer Sicht sinnvoll, dass die Nutzung von KI innerhalb eines definierten Systemumfangs wie beispielsweise dem ECM geschieht. Nur dann können Sicherheitsbedenken ausgeräumt werden.
Welche technologischen Anforderungen schaffen diese neuen Technologien für Partner und deren Kunden?
Im besten Fall wenig bis keine. Wir sehen es als Hersteller einer Plattform für ECM und Knowledge Work Automation als unsere Aufgabe, neue KI-Technologien so in unsere Produkte zu integrieren, dass Kunden und Partner schnell davon profitieren, ohne ihre Arbeitsweisen ändern zu müssen. So lernt beispielsweise die automatische Klassifizierung von M-Files im Hintergrund ständig dazu und erkennt neue Dokumentenklassen, indem es den Nutzenden quasi über die Schulter schaut.
Welche Möglichkeiten bieten sich durch diese neuen Technologien für die Partner?
Unsere Partner können mit diesen innovativen Technologien neue Anwendungsfelder auch ausserhalb der eigentlichen Verwaltung von Dokumenten erschliessen. Das gilt insbesondere bei der teilweisen oder vollständig automatisierten Erstellung von Dokumenten mit M-Files Ment oder bei der Bereitstellung und gemeinsamen Bearbeitung von Dokumenten in modernen Kundenportalen mit M-Files Hubshare. So entsteht eine Win-win-Situation für Kunden und Partner – sie können aus bereits getätigten Investitionen in M-Files einen grösseren Nutzen ziehen.
Worauf sollten Partner in der Schweiz bei der Auswahl eines ECM-Anbieters achten?
Wir sehen seit Jahren, dass viele der tradierten ECM-Anbieter in ihrer Weiterentwicklung stagnieren und als eigenständige Anbieter verschwinden. Das begann mit dem Umstieg auf echte Cloud-Angebote und setzt sich bei neuen Funktionsbereichen wie Document Automation und KI fort. Als Partner sollte man sehr bewusst entscheiden, wie lange man sich an einen stagnierenden Hersteller binden will und wann es sinnvoll ist, eine zukunftsfähige Plattform ins Portfolio aufzunehmen.
Welche weiteren Trends im Bereich ECM sollten Partner im Auge behalten?
Die Kunden sind heute deutlich agiler und fordern von ihren ECM-Plattformen, immer mehr Use Cases und Prozesse zu unterstützen. Unsere Kunden bauen die Nutzung von M-Files immer weiter aus – auch weil wir kontinuierlich mit neuen Technologien neue Möglichkeiten schaffen. KI und Automatisierung sind dort die grössten Treiber. Man kann scherzhaft sagen, dass wenn sich ein Kunde nicht regelmässig neue Anwendungsfälle erschliesst, stimmt etwas nicht. Für die Partner bedeutet dies Chance und Herausforderung zugleich. Nur wer den Nutzen einer einmal platzierten Plattform stetig ausbauen kann, wird Kunden langfristig halten.