"Seien Sie nicht der letzte Ihrer Branche, der damit anfängt"
Wie steht es um den Markt für Wearables Apps made in Switzerland? Die Spezialisten der Agentur Goldbach Interactive geben Antworten und liefern eine Markteinschätzung zum Start der Apple Watch.
Welche Möglichkeiten sehen Sie für Wearables Apps im Unternehmensumfeld?
Wichtig ist bei allen Anwendungen, auf die spezifischen Vorteile von Wearables einzugehen. Zum ersten Mal müssen die Benutzer nicht mehr ein Device in der Hand halten, das heisst unsere Hände sind endlich "befreit". So können wir, zum Beispiel parallel zu einer handwerklichen Tätigkeit, Apps nutzen. Alle Verwendungen, die man "nur" vom Smartphone kopiert, sind dabei redundant. In welchen Bereichen kann die Smartwatch etwas besser oder sogar exklusiv? Den Wearables fehlt teilweise noch der "Proof of Concept". Was zeichnet diese Geräteklasse aus? Was macht sie einzigartig? Dabei wird sicherlich das Potential der Sprachsteuerung an Stellenwert gewinnen. Meine Ideen für Anwendungen reichen weit. Beispielsweise bekommt ein Paketzusteller die Fahrroute zur Auslieferung sowie die Paketnummer inklusive detaillierter Adresse am Handgelenk angezeigt. An der Tür fungiert die Smartwatch zudem als ID. Eine weitere Anwendung ist ein Arzt im Spital, der über einen gleich eintreffenden Notfallpatient informiert wird. Er kann schon während der Anfahrt aus dem Rettungswagen klinische Daten empfangen, die Medikation vorbereiten oder Spezialisten anfordern. Schon während der Erstuntersuchung können aus der digitalen Krankenakte Vorerkrankungen angezeigt werden. Selbst einer spontanen Konsultation des Hausarztes per Videotelefonie steht zukünftig nichts im Wege. Auch könnte eine Firma Step-by-Step Montageanleitungen für komplexe Produkte ihren Monteuren ans Handgelenk schicken. Diese könnten so ohne Arbeitsunterbrechung fehlerfrei montieren. Was sich mittelfristig an Anwendungen durchsetzen wird, ist durch technische Features zukünftiger Hardware-Generationen bedingt. Auch das sich entwickelnde Preisniveau entscheidet über die Marktgrösse und ob es ein Massenprodukt werden kann. Welche Anwendungen sich dabei auch wirtschaftlich rechnen, muss in der momentanen Pionierphase natürlich besonders sorgfältig kalkuliert werden. Ein Tipp von mir: Seien Sie nicht der letzte Ihrer Branche, der damit anfängt und so einen Wettbewerbsvorteil verspielt.
Welche App-Projekte für Wearables haben Sie bereits entwickelt?
Bisher haben wir keine Projekte für Kunden umsetzen dürfen, sammeln aber durch interne Konzeptpitches die besten Ideen. Zudem entwickeln wir softwareseitig Prototypen und Betaversionen, damit unsere Entwickler Erfahrungen sammeln können, anhand derer wir auch unseren Kunden die vielseitigen Möglichkeiten und unsere Kompetenz nahebringen können. Ebenso haben wir es auch in anderen technologischen Bereichen, wie beim "Internet of Things" oder der iBeacon-Technologie bereits getan. Damit können wir Funktionsweisen verdeutlichen, Konzepte anreissen und den "App-etit" der Kunden fördern.
Wie ist die Kundenresonanz? Werden Sie von Anfragen überhäuft, oder ist die App-Entwicklung für Wearables kein Thema für Ihr Unternehmen?
Es gibt zwar viel Interesse auf Kundenseite, dieses schwankt zwischen Faszination und Neugier. Bisher wurden aber noch keine konkreten Aufträge abgeschlossen. Wir haben das Gefühl, dass aktuell die Unternehmen noch abwarten, was sich aber in 2016 ändern kann, wenn weitere Geräte und Anwendungen auf dem Markt verfügbar sind. Einige Firmen sind bereits in der Vorbereitung, das merken wir deutlich. Wir beraten und konzipieren aber gerne heute schon die Luftschlösser, die erst in den kommenden beiden Jahren Realität werden könnten.
Wie arbeiten die App-Store-Anbieter Google, Apple und Microsoft mit Ihnen zusammen und wie werden Sie an den Umsätzen beteiligt?
Wir pflegen in diesem Bereich keine strategischen Partnerschaften, um unabhängig für unsere Kunden das passende Paket aus Hard- und Software zu schnüren.
Was ist attraktiver: Ein App für App Stores zu entwickeln oder für Unternehmenskunden?
In den Kindertagen der Digital Economy gab es nur zwei Modelle: eines war "auf Business warten" – auf Anfragen der Unternehmen Projekte konzipieren und entwickeln – oder "sein eigenes Business entwickeln". Die erste Methode lässt die eigene Businessentwicklung nicht steuern, weil man passiv auf eine Anfrage wartet. Wenn diese nie kommt, wird man dieses Feld nie bestellen können. Beim zweiten Weg, kann man im Silicon-Valley-Stil nahezu über Nacht Millionen verdienen oder auch verlieren. Beide Wege sind für uns nicht zufriedenstellend. Wir pflegen daher heute einen anderen Ansatz. Zunächst arbeiten wir uns tief in das Know-how ein, entwickeln Prototypen und suchen dann Anwendungsmöglichkeiten. Diese entweder bei bestehender Kunden oder akquirieren Neukunden, dabei haben wir immer greifbare Konzepte in der Tasche. Manchmal kommt es dann zu einer Beauftragung des konkreten Konzepts und dessen Umsetzung, manchmal entwickelts sich ein anderes Projekt daraus.
Seit Ende Juni ist die Apple Watch auf dem Schweizer Markt erhältlich: Game Changer oder nur ein hübsches Accessoire?
Die erste Generation wird noch eher ein Lifestyle Accessoire bleiben. Obwohl das Potential enorm ist, hinkt die Anwendung noch hinterher. Es wird so lange dauern, bis Firmen und App-Entwickler genug sinnstiftende Anwendungen entwickelt haben, dass es zu einem Massenprodukt wird. Dann wird es eine spürbare Verschiebung von Smartphones zu Smartwatches in der Verwendung geben.
Ein Blick in die Glaskugel: Wie wird sich der Schweizer Wearables-Markt in den kommenden fünf Jahren entwickeln?
Dank des hohen Niveaus der Schweiz in Punkto Bandbreite und Abdeckung wird sich sicher ein ernstzunehmender Markt entwickeln. Im Vergleich des Marktanteils vom Smartphone, bei dem die Entwicklung auch nicht stehen bleibt, wird es sich wohl in den kommenden zehn Jahren aber immer noch um den kleineren Marktanteil handeln.
Weitere Interviews zum Thema gibt es im Dossier Wearable-Apps.