ETH-Teams am Cybathlon

So helfen vierbeinige Roboter und smarte Gürtel bei Alltagsbarrieren

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von Deborah Kyburz, ETH Zürich

Der Cybathlon ist ein internationaler Wettkampf, bei dem Pilotinnen und Piloten mit körperlichen Einschränkungen Aufgaben absolvieren – mithilfe alltagstauglicher Assistenztechnologien. Wir stellen drei Teams der ETH Zürich vor, die ihre Innovationen diesen Oktober unter Beweis stellen.

Hilfe beim Türöffnen: Cybathlon-Pilot Sammy Kunz lenkt den Roboter mit dem Mund, Carmen Scheidemann vom Robotic Systems Lab überwacht den Testlauf. Im Oktober gilt es ernst. (Source: Markus Bertschi / ETH Zürich)
Hilfe beim Türöffnen: Cybathlon-Pilot Sammy Kunz lenkt den Roboter mit dem Mund, Carmen Scheidemann vom Robotic Systems Lab überwacht den Testlauf. Im Oktober gilt es ernst. (Source: Markus Bertschi / ETH Zürich)

Vierbeiniger Roboter für den Alltag

Ein vierbeiniger Laufroboter mit montiertem Greifarm und einer Reihe von Sensoren: Das ist ALMA. In der Disziplin "Assistenzroboter" beim Cybathlon ist ALMA einzigartig. Während andere Teams ihren Assistenzroboter direkt am Rollstuhl ihrer Pilot:innen montieren, läuft ALMA eigenständig. Der querschnittgelähmte Pilot Sammy Kunz lenkt den Roboter, der am Robotic Systems Lab der ETH Zürich entwickelt wurde, mit einem atmungsgesteuerten Joystick, einem sogenannten Quadstick. Die beiden Teammanager Carmen Scheidemann und Andrei Cramariuc betonen, dass ihr externes System mehr Mobilität bietet. "Unser grösster Vorteil ist aber auch unsere grösste Herausforderung", sagt Scheidemann. "Wir müssen sicherstellen, dass unser Assistenzroboter korrekt läuft und nicht mit Objekten kollidiert." Am Cybathlon muss das Team in zehn Minuten zehn alltägliche Aufgaben bewältigen. Der Assistenzroboter öffnet beispielsweise eine Tür und schliesst sie hinter dem Rollstuhlfahrer wieder oder reicht dem Piloten einen Apfel so, dass dieser einen Bissen nehmen kann. Der Quadstick zur Steuerung von ALMA hat verschiedene Schläuche, in die der Pilot bläst oder daran saugt. So kann er die verschiedenen Achsen des Roboters steuern: entweder die Basis mit den Beinen oder den Greifarm.

"An einer Vorveranstaltung im Februar mussten wir vier Aufgaben in acht Minuten erledigen und brauchten nur etwas mehr als sechs Minuten", berichtet Scheidemann. Das Team ist zuversichtlich, bei der kommenden Hauptveranstaltung gute Chancen auf eine hohe Punktzahl zu haben. Bei der Weiterentwicklung von ALMA arbeitet es eng mit dem Piloten zusammen. Ein grosser Teil der Arbeit besteht darin, die Bedienung so zu gestalten, dass möglichst wenig Übung erforderlich ist. "Wir machen einen Vorschlag zur Umsetzung und Sammy gibt uns dann Rückmeldung, was ihm gefällt und was für ihn nicht funktioniert. Daraufhin nehmen wir die nötigen Anpassungen vor", sagt Scheidemann. Für die Vorveranstaltung im Februar seien fünfzehn Stunden Training notwendig gewesen. Mittlerweile hat sich das System merklich weiterentwickelt und die Übungszeit sich reduziert.

Die Zusammenarbeit mit dem Piloten gefällt beiden Teammanagern gut. "Es ist sehr erfüllend, an einem Projekt mitzuwirken, das potenziell den Alltag und die Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen stark verbessern kann", sagt Cramariuc. In der Industrie werden die ANYmal-Roboter, die die vierbeinige Basis von ALMA bilden, bereits eingesetzt, wie bei der Inspektion von Bohrinseln. Die Herausforderung ist es, Assistenzroboter nicht nur in kontrollierten Umgebungen, sondern irgendwann auch im täglichen Leben einzusetzen. Das Team wird ALMA weiterentwickeln. "Es dauert allerdings noch mehr als nur ein paar Jahre, bis die Plattform marktreif ist. Derzeit ist sie noch sehr experimentell", sagt Scheidemann.

Zum RSL-Team

Orientierung mit Kamera und Gürtel

Die richtige Türklingel drücken, einen freien Sitzplatz finden oder sich durch einen Bereich mit unterschiedlich hohen Hindernissen bewegen – diese und andere Aufgaben muss der blinde Pilot Lukas Hendry beim Cybathlon in der Disziplin "Sehassistenz-Rennen" meistern. Technische Unterstützung erhält er dabei vom Team Sight Guide, das ihm zu diesem Zweck zwei Kameras auf die Brust schnallt. Patrick Pfreundschuh, einer der Teammanager, beschreibt die Technologie: "Eine Kamera nutzen wir für die Lokalisierung, um festzustellen, wie und wohin sich Lukas bewegt, die andere ist eine Tiefenkamera, die dreidimensionale Messungen der Umgebung vornimmt." Zusätzlich hält der Pilot eine dritte Kamera in der Hand, um Aufgaben zu lösen, bei denen er ein Objekt näher untersucht. Die Kameras senden ihre Informationen an einen kleinen und leichten Computer, den Lukas Hendry auf dem Rücken trägt. Der Rechner verarbeitet die Daten und sendet ein Audiosignal mit den entsprechenden Informationen an Hendry. Einen solchen Computer mit ausreichender Rechenleistung zu finden, sei gar nicht so einfach gewesen: "Während der Pilot die Aufgaben löst, müssen die Inputs sehr schnell verarbeitet werden. Sonst läuft er womöglich in ein Hindernis, und das wollen wir natürlich vermeiden", sagt Pfreundschuh. Bis zum Cybathlon will das Sight-Guide-Team die Audiosignale mit den Anweisungen weiter verbessern und verständlicher machen. Neben Kameras und Computer trägt Hendry einen Gürtel. Dieser teilt ihm mittels Vibration mit, wohin er laufen muss. "Wie der Gürtel genau funktioniert, verraten wir aber nicht, um unseren Wettbewerbsvorteil zu wahren", sagt Pfreundschuh schmunzelnd.

Das Sight-Guide-Team besteht aus Doktorierenden und Studierenden des Autonomous Systems Lab der ETH Zürich, der Robotics and Perception Group der Universität Zürich und des Instituts für Mechatronische Systeme der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Das Besondere: Die Doktorierenden engagieren sich nebenbei im Cybathlon-Team, aus Interesse, Freude und Leidenschaft für die Sache. Alle ein bis zwei Monate treffen sie sich mit Hendry, bauen die Aufgaben des Cybathlons nach und testen diese. Hendrys Feedback, beispielsweise zur Geschwindigkeit der Anweisungen, können sie oft direkt umsetzen. Die Zusammenarbeit mit dem Piloten sei für ihn auch ein persönliches Highlight. "Es ist schön zu sehen, wie Lukas Aufgaben löst, die für ihn ohne unsere Technologie nicht möglich wären", sagt Pfreundschuh. "Es erfüllt mich mit Stolz und Zufriedenheit zu sehen, wie die Theorie in der Praxis funktioniert und blinden Menschen einen Mehrwert bietet." Nach dem Cybathlon soll die Technologie weiterentwickelt werden – Pfreundschuh hofft, dass sich eine neue Generation von Studierenden dafür findet.

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Den Boden spüren trotz Prothese

Patientinnen und Patienten, die eine Beinprothese tragen, spüren den Boden nicht. Besonders bei Unebenheiten oder beim Treppensteigen fehlt ihnen die Rückmeldung, wo das Bein steht und wie stark es auf den Boden drückt. Dieses fehlende sensorische Feedback ist ein Hauptgrund, warum viele Patient:innen auf Prothesen verzichten. Anders ergeht es dem Cybathlon-Piloten Stefan Poth. Er tritt am Wettbewerb mit seiner eigenen Beinprothese an, trägt jedoch eine sensorische Einlegesohle des Teams NeuroLegs im Schuh. Diese Sohle erfasst die Informationen, die die Forschenden als Fuss-Boden-Interaktion bezeichnen. Dazu gehört, wann Poth auf die Ferse, den Mittelfuss oder den Fussballen drückt. Im Moment des verstärkten Drucks werden die Daten an einen kleinen Rechner geschickt, den Poth am Gürtel trägt. Der Minicomputer verarbeitet die Daten und wandelt sie in elektrische Stimulationssignale um. Diese Signale werden an einen Gürtel mit einer Reihe von Elektroden gesendet, den Poth um seinen Beinstumpf trägt. "Je nachdem, wo Stefan gerade auftritt, geben die Elektroden entweder frontal, seitlich oder auf der Rückseite des Stumpfs das Gefühl wider, und dies in Echtzeit", erklärt Noemi Gozzi, eine der beiden Teammanager von NeuroLegs.

Das Team der ETH Zürich, das mit Poth am Beinprothesen-Rennen teilnimmt, gehört zum Neuroengineering Lab von ETH-Professor Stanisa Raspopovic am Departement für Gesundheitswissenschaften und Technologie. Das Team sammelte bereits vor vier Jahren wertvolle Erfahrungen am Cybathlon. "Wir mussten dieses Jahr nicht von null starten und konnten unsere Technologie besonders im Bereich der Nutzerfreundlichkeit verbessern", sagt Valerio Aurucci, ebenfalls Teammanager. Früher klebten sie die Elektroden einzeln an die Haut, was unpraktisch war. Inzwischen hat das Team den Beingürtel entwickelt, der das System viel zuverlässiger macht. Gozzi betont, wie bereichernd es ist, wenn die eigene Forschungsarbeit in der Praxis angewendet wird: "Wir versuchen, Systeme zu entwickeln, die Menschen in ihrem täglichen Leben helfen. Stefans Reaktion, als er zum ersten Mal wieder ein Gefühl unter seinem Fuss spürte, war einmalig und macht die vielen Stunden im Labor wett." Das Neuroengineering Lab ist eines der führenden Labore, die mit peripherer Nervensimulation arbeiten. Aurucci hebt den Vorteil ihrer Entwicklung hervor: "Das Gute ist, dass unser System mit jeder Prothese funktioniert." Bis zur Marktreife bedarf es noch weiterer Entwicklungsschritte und Sicherheitsmassnahmen. Beide Teammanager – derzeit Doktorierende an der ETH – überlegen momentan, wohin sie sich entwickeln wollen: In der Forschung bleiben und NeuroLegs an die nächste Generation weitergeben, oder den Schritt über ein Spin-off in die Industrie wagen? Die Zukunft wird es zeigen.

Zum NeuroLegs-Team

 

Dieser Beitrag ist zuerst in der Ausgabe 24/03 des ETH-​​​​Magazins Globe (PDF) sowie auf ETH-News erschienen. 

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